Mein Leben
ich nicht, doch sehe ich immer noch Luise Ullrich, die den kaum noch erträglichen Auftritt der Johanna (»Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften, / ihr traulich stillen Täler, lebet wohl! … Johanna geht, und nimmer kehrt sie wieder!«) unpathetisch und leise gesprochen, wenn nicht gestammelt hat – als sei es ein innerer Monolog.
Viel näher stand mir damals der »Egmont«, für den ich nach wie vor eine Schwäche habe. Aber leider wird das Stück heute viel zu selten aufgeführt. In der Berliner Inszenierung von 1935 habe ich mich in die Darstellerin des Klärchens verliebt. Es war Käthe Gold, die mich auch als Gretchen und Käthchen, als Ophelia und Cordelia nicht nur verzaubert, sondern geradezu beglückt hat. Und glücklich war ich, als ich sie nach 1945 zum ersten Mal wieder auf der Bühne sah: Sie war damals 42 Jahre alt und spielte, es war in Zürich, immer noch das Gretchen. Sie war wunderbar.
In meinem ganzen Leben hat mich keine Schauspielerin so nachhaltig beeindruckt wie Käthe Gold – auch nicht Elisabeth Bergner, die ich allerdings nur in ihren späten Jahren kannte, auch nicht Paula Wessely, die ich zu selten im Theater zu sehen bekam. Aber in Grillparzers »Des Meeres und der Liebe Wellen« und als Shaws heilige Johanna ist mir die Wessely noch heute gegenwärtig. Sie war auch eine hervorragende Filmschauspielerin, was von der Gold nicht gesagt werden kann. Das mag damit zusammenhängen, daß die stärkste Seite ihres Talents ihre Sprechkunst war, die im Film in der Regel weit weniger zur Geltung kommt.
In Fehlings »Käthchen von Heilbronn«-Aufführung von 1937 – er hatte ein romantisches Ritterspektakel mit Blitz und Donner, mit viel, gar zu viel Feuer und Gepolter inszeniert und mit einem ganz zarten poetischen Kammerspiel verbunden – war Käthe Gold als Käthchen mädchenhaft und märchenhaft, zierlich und zauberhaft, demütig und auch ein ganz klein wenig aufmüpfig. Sie konnte schlechthin alles spielen, alles, was jung und weiblich war: sogar das verträumte Mädchen in Hauptmanns schwer erträglichem »Glashüttenmärchen« mit dem Titel »Und Pippa tanzt!«, sogar einen Backfisch in dessen Lustspiel »Die Jungfern vom Bischofsberg«.
Die Premiere dieses aus dem Jahre 1907 stammenden Lustspiels hatte mich aufgeschreckt und deprimiert – obwohl die Aufführung, neben Käthe Gold spielte auch Marianne Hoppe mit, ausgezeichnet war. Sie fand im November 1937 zu Ehren des fünfundsiebzigsten Geburtstags von Gerhart Hauptmann statt. Die Nazis mochten ihn nicht, er bereitete ihnen, ob er es wollte oder nicht, immer wieder Kummer. Aber sie brauchten dringend einen repräsentativen Schriftsteller der älteren Generation, einen lebenden Klassiker – und so kam, da Thomas Mann emigriert war, nur Hauptmann in Frage.
Damit hing es auch zusammen, daß das Propaganda-Ministerium Neuinszenierungen vieler seiner alten Stücke geduldet und bisweilen wohl empfohlen hatte. Sie waren den Intendanten angesichts der wachsenden Repertoire-Schwierigkeiten durchaus willkommen. »Die Weber« freilich durften im »Dritten Reich« nicht gespielt werden. Ein Kuriosum: Während des Krieges wollten die Nazis »Die Weber« doch aufführen lassen, aber mit einem neuen, optimistischen Schluß, des Inhalts etwa, daß die Weber es in Hitlers Staat gut hätten. Gerhart Hauptmann lehnte das Ansinnen ab.
Bei vielen Aufführungen aus Anlaß seines Geburtstags war er anwesend, so auch bei der Premiere der »Jungfern vom Bischofsberg«. Er saß in der Ehrenloge zusammen mit Hermann Göring. Ich hatte einen billigen Platz im zweiten Rang, von dem sich diese Loge gut beobachten ließ. Der Beifall nach dem Ende der Vorstellung war stürmisch und galt offensichtlich nicht nur den Schauspielern, sondern auch den beiden prominenten Herrn, die leutselig dankten. Sie dankten mit dem Hitler-Gruß. Jawohl, ich habe es genau gesehen: Der greise Hauptmann, der Autor der »Weber« und der »Ratten«, er, zu dessen Aufstieg zum großen Teil Juden beigetragen hatten (vor allem Otto Brahm und Max Reinhardt, Alfred Kerr und Siegfried Jacobsohn), er kannte tatsächlich keine Hemmungen, die Hand zum Hitler-Gruß zu erheben.
Zu den wichtigsten Aufführungen in diesem Hauptmann-Jubiläumsjahr gehörte der »Michael Kramer« mit Werner Krauss. Er sah in dieser Rolle wie Johannes Brahms aus. Der Gegenspieler, Kramers verbummelter Sohn Arnold, kam mir interessanter vor: Ihn gab Bernhard Minetti. Man kann sich heute den Ruhm von Werner
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