Mein letzter Tampon
durcharbeiten muss oder in den Urlaub fliegen will. Das hat allerdings nichts geholfen, sie wurden trotzdem ins Krankenhaus eingewiesen und ich habe eben einen Tag später davon erfahren bzw. den Rückflug antreten müssen. Dass ich damit nicht etwa zu den Ausnahmefällen gehöre, wird mir immer klar, wenn ich mit Freundinnen rede. Auch deren Eltern scheinen seit zehn Jahren zu sterben. Und wenn sie es dann tatsächlich tun, ist man erst einmal erstaunt. Was aber am schwersten wiegt, ist, dass du dich permanent mit dem Tod auseinandersetzen musst. Plötzlich ist er real geworden, anfassbar, vorstellbar und unausweichlich. Die Nähe des Todes, und nicht nur des Todes der Eltern, sondern auch des frühen Todes von Freunden, denn seien wir ehrlich, die Einschläge kommen immer näher, fördert nicht unbedingt die Lebensfreude. Aber vielleicht ist das Leben auch hier gnädig. Der Tod klopft an. Wenn er dann wirklich eintritt, hat er viel von seinem Schrecken verloren. Du bist nur noch erschöpft. Das ist dann der Zeitpunkt, an dem sich die meisten ihre erste Kreuzfahrt gönnen.
Wechseljahressymptome? Nee, Mega-Stress.
Dein Süßer hat ein Auge auf die neue Sekretärin oder die Imbissverkäuferin geworfen? Na, das kommt in den besten Familien vor, warum solltest du davon verschont bleiben? Dabei hast du gar nicht mit böser Absicht in seinen Taschen gewühlt, als du neulich diese blöden Kinokarten gefunden hast, du wolltest nur mal wieder alle seine Taschentücher waschen, die er immer vergisst in den Wäschepuff zu legen. Die Kinokarten haben dich ja noch nicht so richtig beunruhigt, aber der Ehering, der an einer Baumwollschnur im Knopfloch seines dunklen Anzuges festgemacht war, als du ihn aus der Reinigung geholt hast, hat dir doch ernstlich zu denken gegeben.
Und auch das ist bestimmt kein Problem, bei dem dir der Gynäkologe helfen kann. Also sei lieb und vertraue Onkel oder Tante Doc wieder, ja?
Wir haben also festgestellt, dass du in den vergangenen und sicher auch noch in den vor dir liegenden Jahren voll im Stress bist. Und zwar leidest du unter Belastungen, die sozusagen unumkehrbar sind. Denn deine Kinder werden nicht mehr klein und deine Eltern nicht mehr gesund und dein Mann wird im Gegensatz zu Kollegen und Vorgesetzten auch nicht jünger. Und du? Du fühlst dich erschöpft, ausgelaugt, reif für die Insel, bist wütend, deprimiert und lustlos. Das typische Burn-out-Syndrom.
Das Einzige, was gegen Burn-out wirklich hilft, sind neue Ideale, neue Werte, neue Ziele. Aber leichter gesagt als getan. Denn dein ganzes Leben lang hast du nach vorn geschaut. Mit zwanzig hast du dir gesagt, das wird alles besser, wenn ich erst meine Ausbildung abgeschlossen oder bei meinen Eltern ausgezogen bin. Mit dreißig hast du dir gesagt, es wird alles ganz anders, wenn die Kids erst aus dem Gröbsten raus oder du Karriere gemacht hast. Sogar mit vierzig hast du noch gedacht, es wird alles besser, wenn du erst mal wieder Urlaub gemacht hast oder die Steuererklärung oder sonst was. Und jetzt glaubst du einfach nicht mehr daran, dass alles besser wird. Im Gegenteil, du bezweifelst, dass es jemals anders wird und wenn es dann doch einmal anders werden sollte, dann bist du alles andere als sicher, dass das „anders“ dir dann auch zusagt.
Kein Wunder, wenn deine früheren Vorbilder nur noch unzusammenhängende Worte krächzen oder sich in die Hosen scheißen. Du fühlst dich wie im Wartesaal zum Himmel. Und das liegt einzig und allein daran, dass du dich nicht mehr traust nach vorn zu leben, sondern dich im Gestern vergräbst.
Donna Quijote und die Windmühlenflügel
Du kämpfst gegen all diese ekligen Gefühle an. Denn du bist gewohnt, dich unter Kontrolle zu haben. Du sagst dir jede Nacht, wie gut du bist, dass du alles geschafft hast, was du schaffen wolltest. Und bist stinksauer, wenn es nicht klappt, wenn du dich nicht in den Griff kriegst. Hör auf zu kämpfen wie Donna Quijote gegen die Windmühlenflügel. Gestatte dir auch mal durchzuhängen, gestatte dir, schlechte Laune zu haben, gestatte dir, deprimiert zu sein. Du hast verdammt noch mal genauso wie alle anderen Menschen auf der Welt das Recht, auf schwere Belastungen einfach erschöpft zu reagieren.
Neue Werte
Was war dir gestern wichtig? Ganz einfach, du wolltest einen netten Mann, ein paar nette Kinder oder (beziehungsweise und) eine nette Karriere. Und du hast alles gekriegt. Deine Freundinnen hast du dir in den jeweiligen Lebensphasen angelacht und
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