Mein Mann, der Liebhaber und der Tote im Garten
für Oskar gar nicht gut aus.
Als ich meinerseits bei dem Jungen ankam, stand Larentius mit hängenden Armen vor Oskar, neben ihm stand breitbeinig und in Habachtstellung Olga, während Paul, dessen Übelkeit abgeflaut sein musste, seine Arzttasche auf der Suche nach irgendeinem Gegenstand durchwühlte.
Oskar hatte bei der Kollision mit dem Storch eindeutig den Kürzeren gezogen. Der Ärmste war kaum mehr wiederzuerkennen. Dort, wo andere Menschen gemeinhin ein linkes Auge besaßen, besaß Oskar nurmehr eine dunkle Höhle, aus der die schleimigen Überreste des einstigen Augapfels seitlich an der Wange herunterhingen. Der Schnabel des Vogels hatte das linke Auge durchbohrt, das rechte Auge starrte blicklos in den Himmel. Oskars seitlich weggedrückte Nase war gebrochen, eine Augenbraue aufgeplatzt, zwischen den Lippen hing die Zunge heraus.
Der Junge stöhnte auf und hustete. Kleine weiße Bläschen sammelten sich in den Mundwinkeln. Der Aufprall des herabgesausten Vogels hatte ihm scheinbar die Lunge gequetscht.
Der Vogel lag ebenfalls verletzt im Gras, sah aber besser aus als Oskar. Olga tänzelte um den Storch herum und packte ihn dann energisch am Hals. Etwas knackte, die Beine des Storches zappelten noch einmal kurz, dann hing der Vogel leblos in der Schnauze der Mischlingshündin, die ihn von uns weg hinter die Hecke zerrte. Keiner der Umstehenden hielt den Hund auf. Wir waren zu sehr mit Oskar beschäftigt, um uns auch noch um einen Storch zu sorgen oder darum, was die Hündin mit dem Vogel anstellte.
Olga war eine Landhündin, auf dem Dorf geboren und groß geworden. Gemeinhin verspeiste sie auch schon mal ganze Tauben, wenn sie sie verunglückt auf der Straße fand. Selbst einen Igel hatte Olga schon vertilgt, erzählte uns Larentius ein paar Tage später, als ich ihn nach dem Verbleib des Storches fragte. Kein Mensch hatte an dem Abend noch an den Storch gedacht. Am nächsten Morgen hatten er und sein Sohn nur noch die Beine und den Kopf mit dem langen Schnabel sowie ein paar Überreste des Rumpfes gefunden. Alles andere hatte Olga vertilgt. Genüsslich, wie Larentius betonte. Olga liebte frisches Fleisch.
Ich beugte mich zu Oskar herunter. Sein eben noch starres Auge blinzelte lethargisch und folgte meiner Bewegung. Er versuchte den Arm anzuheben, doch Storch und Beruhigungsmittel hatten ihm sämtliche Kraft geraubt. Der Arm erstarrte nach einem kaum merklichen Bewegungsansatz und fiel nach unten. Großmütig tätschelte ich Oskars Hand und lächelte ihm beruhigend zu, derweil Paul offensichtlich endlich das gefunden hatte, was er suchte.
Er jagte dem Jungen eine Spritze in den Brustkorb.
»Adrenalin«, sagte er. »Mehr kann ich nicht tun.«
Ich konnte es mir leisten, freundlich zu Oskar sein. Erstens glaubte dem Jungen sowieso kein Mensch. Und zweitens würde er diesen Unfall kaum überleben. Jedenfalls wies so ziemlich alles darauf hin, dass seine verbleibende Erdenzeit knapp bemessen war.
Ich streichelte weiter Oskars Hand, während seine Mutter sich auf der anderen Seite niederbeugte und ihm beruhigend über den Kopf strich.
»O mein Gott, Oskar. Wie siehst du nur aus?« Mit fahrigen Bewegungen strich sie ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie begann zu weinen, setzte sich hinter Oskar und legte seinen malträtierten Kopf in ihren Schoß. Der Junge versuchte wohl ein Lächeln, drehte seine Hand aus meiner, ergriff die Hand seiner Mutter und starb lautlos genau in dem Moment, als wir die schrille Sirene des Krankenwagens vernahmen. Das Auto näherte sich dem Dorf von Jena her, kam jedoch zu spät.
Schade, der Junge hatte den Tod nicht verdient. Er war definitiv zu jung und hatte keiner Fliege etwas zuleide getan.
Und mir schon gar nicht. Jedenfalls nicht so wie Martin, der gemeine Hund.
Hedwig, Lisa und mir hätte Oskar nicht einmal mehr gefährlich werden können. Der Ärmste.
Ich schaute zu Hedwig hinüber, die sich mit Larentius unterhielt, und bedeutete ihr, dass wir gehen sollten, bevor der Krankenwagen hier wäre. Sie nickte und kam mit Larentius im Schlepptau auf mich zu. Mir hatte sich in der Zwischenzeit die arme Frau Maler in die Arme gedrängt, um Schutz und Trost zu suchen. Hilflos hatte ich sie gewähren lassen. Paul kam mit einer neuen Spritze, redete auf Frau Maler ein, sie möge mich loslassen und sich einen Moment hinsetzen, und injizierte ihr ein Beruhigungsmittel.
Hedwig, Larentius und ich fuhren schließlich aufgewühlt zurück in die Pension nach Ockersdorf, wie
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