Mein Mann der Moerder
und gesellte sich zu seinen Geschwistern, die zwischen Schreibtisch und Bett eine Kolonie gegründet hatten.
Matze nahm nicht mehr wahr, was für ein trostloser Ort seine Wohnung geworden war. Die Bettwäsche strömte einen muffigen Geruch aus. Seine schmutzige Wäsche hortete Matze in der Ecke neben dem Fernseher, auf dessen Mattscheibe ein dicker Staubfilm klebte, der jetzt in der Abendsonne gut zur Geltung kam. Auf dem abgeschabten Nadelfilz lagen zwischen getragenen Jeans, Hemden und T-Shirts leere Bierflaschen und ein paar zerlesene Werner-Comics. Was für andere Leute der Goethe, war für Matze Brösels Werner. Er liebte diese Comics aus der Provinz. Nicht etwa, weil er selbst ein Landei war. Matze konnte die Leiden des jungen Werner, der als Lehrling unter seinem Meister Röhrich litt, nur zu gut nachvollziehen. Schließlich war auch er einmal Azubi gewesen. Außerdem konnte er diese Comics wieder und wieder lesen. Jedes Mal lachte er an den gleichen Stellen. Obwohl er jeden Gag auswendig kannte, nutzten sich die Witze einfach nicht ab. Allein schon diese Sprache. Tass Kaff, Flasch Bier, Bölkstoff. Selbst Basti hatte ein Faible für Werner-Comics. Werner sei »Wortkunst«, hatte er angefangen zu dozieren, nachdem er die Hefte auf Matzes Fußboden entdeckt hatte. Matzes verständnisloser Blick hatte Basti natürlich sofort dazu animiert, einen kleinen Vortrag aus dem Stegreif zu halten, in dem er einen Zusammenhang zwischen dem expressionistischen Dichter August Stramm, dem Dadaismus, der Sprachskepsis um 1900 und Werner konstruierte. Typisch Basti. Natürlich musste er mal wieder den verhinderten Schöngeist raushängen lassen. Anstatt einfach nur herzlich über Werners Abenteuer zu lachen, verpasste Basti dem Comic einen intellektuellen Anstrich, um seine heimliche Vorliebe für Triviales zu kaschieren. Man musste Basti halt labern lassen, wenn er wieder mal zeigen wollte, dass er kein grobschlächtiger Polizeireporter war, sondern ein gebildeter Feingeist, der eigentlich zu Höherem berufen war.
Seine Turnschuhe, von denen Matze fünf Paar besaß, weil er ohnehin nichts anderes trug, waren einzeln in der Wohnung verstreut. Matze entledigte sich seiner Sneaker nach Feierabend gern in hohem Bogen. Auch, dass er manchmal morgens länger suchen musste, bis er in dem Gewirr ein Paar an seinen Füßen zusammenführen konnte, brachte ihn nicht auf die Idee, diese Technik des Schuhausziehens zu überdenken.
In seiner Küche, die eine Durchreiche zum Schlaf- und Wohnzimmer hatte, schimmelten Essensreste auf den ungewaschenen Tellern, die sich auf der Spüle stapelten wie der Schiefe Turm von Pisa. Den Gedanken, dass er nicht nur aufräumen, sondern auch abwaschen musste, wenn eine Frau zu Besuch kommen würde, schob Matze beiseite. Erst einmal scrollte er sich von einer Lady zur nächsten.
Hinter ihm rauschte der Scanner. Alles ruhig. Die Bullen hatten wenig zu tun, lungerten wahrscheinlich in der Hitze in ihren Streifenwagen rum oder saßen auf der Wache und sahen fern.
Kaum zu glauben, dass all diese gut aussehenden Frauen noch zu haben waren. Neben den Bildern konnte man verschiedene Möglichkeiten anklicken: Profil lesen, E-Mail schreiben oder sogar jetzt chatten . Das allerdings setzte voraus, dass die jeweilige Frau online war, was durch ein blinkendes Sternchen über dem Bild angezeigt wurde.
Die Frau an seiner Seite durfte nicht zu schön sein, überlegte Matze. Eine schöne Frau wünschte sich was Besseres als einen Mann wie ihn, da war er sich sicher.
Matze blieb am Foto einer dunkelhaarigen Allerweltsfrau hängen, die herzlich in die Kamera lachte. Sie hatte dunkle Augen, feiste Pausbäckchen. Knuddelchen453 sah aus wie eine Frau zum Pferdestehlen. Matze klickte auf Profil lesen. Tatsächlich hatte Knuddelchen453 sorgsam ihr Leben in Tabellenform für den Rest der Welt im Internet aufbereitet. Matze war erstaunt. Wie konnten Frauen nur so unvorsichtig sein, Details aus ihrem Leben ins Netz zu stellen? Diese Seiten mussten doch ein Eldorado für Spinner, Spanner und potenzielle Frauenmörder sein.
Geschlecht: weiblich, Alter: 30, Wohnort: Berlin, Körpergröße: 160 cm, Gewicht: 68 Kilo, Figur: Rubens, las Matze im Profil von Knuddelchen453. Haarfarbe: dunkle Kirsche … Dunkle Kirsche – nur Frauen konnten auf die Idee kommen, ihre Haarfarbe so zu beschreiben. Politisches Weltbild: neutral, Religion: konfessionslos, Schulabschluss: mittlere Reife, Beruf: Altenpflegerin, Herkunft: Bayern
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