Mein Mann der Moerder
dich sofort in die Charité fahren. Vielleicht ist es eine allergische Reaktion auf den Champagner.«
Tobias nickte. Ihm musste wirklich schlecht sein, wahrscheinlich quälte ihn Todesangst, riskierte er doch durch die Behandlung in der Charité seine Verhaftung.
Ich sprang auf, lief ins Schlafzimmer, riss meine Handtasche an mich, schlüpfte in meine Turnschuhe und warf mir eine Jacke über.
»Mir ist so schlecht, alles ist so verschwommen«, stöhnte Tobias. Er hing jetzt mit dem Oberkörper über der Lehne, sah aus, als würde er sich gleich übergeben.
Mitleid? Nein, Mitleid empfand ich nicht. Im Gegenteil. Es amüsierte mich, dass mein Mann, der ein kleines Mädchen vergewaltigt und ermordet hatte, mir wehrlos ausgeliefert war. Die Macht, die plötzlich in meinen Händen lag, wirkte berauschend wie eine Droge. Nie hatte ich Macht gehabt. Nicht über meine Mutter, nicht über Peter, nicht über Tobias. Immer war ich nur das wehrlose Opfer gewesen. Nun hatte ich es geschafft, den Spieß umzudrehen. Endlich, endlich war ich am Zuge, würde mich rächen, für all das, was mir, Antonia und allen anderen missbrauchten Mädchen auf dieser Welt angetan worden war.
»Tobias, komm, ich helfe dir aufzustehen«, schlug ich den sanften Ton einer Krankenschwester an.
Tobias wimmerte nun fast. Nur mit meiner Hilfe schaffte er es, auf die Beine zu kommen. Ich klemmte meinen Körper unter seine Achsel, stützte ihn. Tobias war schwer, aber mein Plan, diesen Mann in den nächsten Stunden zu erledigen, verlieh mir ungeahnte Kräfte. Er hing an mir wie ein nasser Sack, konnte gerade noch einen Fuß vor den anderen setzen. Schweißperlen traten mir auf die Stirn. Doch ich schaffte es irgendwie, Tobias Stufe für Stufe die Treppe hinunterzubugsieren, ohne zu stürzen. Zum Glück begegneten wir niemandem. Draußen wurde es leichter, denn bis zum Auto, das ich direkt vor dem Haus geparkt hatte, waren es nur ein paar Schritte. Ich packte Tobias mit beiden Händen bei den Oberarmen, lehnte ihn gegen den Wagen und öffnete die Beifahrertür. Tobias sackte in sich zusammen, ging in die Knie und stöhnte.
»Beruhige dich, mein Lieber«, flötete ich. »Bestimmt ist es nichts Ernstes.«
Tobias hob den Blick, sah mich dankbar an. »Du kannst so lieb sein, Xenia«, flüsterte er.
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Dennoch beherrschte ich mich.
»Aber das ist doch selbstverständlich«, heuchelte ich, während ich ihm half, ins Auto zu steigen.
Ich schloss die Tür, ging um den Wagen herum. Die wenigen Passanten, die um diese Zeit noch in der Mommsenstraße unterwegs waren, nahmen keinerlei Notiz von uns. Ich stieg ins Auto und fuhr los. Tobias saß wie eine Stoffpuppe auf dem Beifahrersitz. Sein Kinn fiel ihm auf die Brust. Er verlor das Bewusstsein. Dieser Schlaf würde, so hatte ich es im Internet gelesen, mehrere Stunden andauern. Stunden, in denen Tobias mir völlig ausgeliefert war …
Ich fuhr in Richtung Bernau. Dort hatte ich, an einer einsamen Stelle am Waldrand, in den vergangenen Tagen für den Ernstfall alles vorbereitet.
Obwohl es inzwischen dunkel geworden war, fand ich die Stelle auf Anhieb wieder. Ich bog rechts ab, holperte über einen Feldweg. Hier draußen in der Einsamkeit war es noch dunkler als in der Stadt. Die Scheinwerfer schlugen eine gespenstische Schneise durch die Nacht. Trotzdem hatte ich keine Angst. Ich fühlte mich mächtig, unangreifbar. Ich, Xenia Rabe, Herrin über Leben und Tod.
Tobias gab keinen Mucks von sich. Sein Kopf wackelte mit jedem Ruck leicht hin und her. Er atmete flach, lebte also. Noch, zumindest.
Die Stelle, die ich mir für den Mord an Tobias ausgeguckt hatte, lag an einem Hang, der in einen Wald mündete.
Ich schaltete das Standlicht ein. Tobias schlief tief und fest auf dem Beifahrersitz. Ich fühlte mich gut wie nie zuvor in meinem Leben. Die Vorstellung, gleich eine Grenze zu überschreiten in ein Land, aus dem es kein Zurück mehr gab, das mein Leben teilen würde in Vorher und Nachher, Unschuld und Schuld, Leben und Tod, bescherte mir das Kribbeln einer Frischverliebten.
Ich stieg aus. Der Boden, den der Regen aufgeweicht hatte, gab unter meinen Schritten nach. Dieses Mal hatte ich nicht den Fehler gemacht, hohe Schuhe anzuziehen. Ich öffnete die Beifahrertür. Tobias rührte sich nicht. Seine Augen waren, soweit ich es im Scheinwerferlicht erkennen konnte, halb geöffnet. Ich nahm seinen Arm, der sich schlapp und schwer anfühlte, und zog so
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