Mein Monat mit dem Millionär
die sie ehemals zu ihren Freunden gezählt hatte. Sie konnte es ihnen nicht übel nehmen, auch wenn ihr einziges Vergehen darin bestanden hatte, dumm und leichtgläubig gewesen zu sein.
„Na gut“, lenkte Emilio ein. „Ich habe mir Arbeit mitgebracht.“
Ihre Erleichterung verbergend nahm sie die Liste und ging in ihr Zimmer. Dabei spürte sie Emilios Blick auf sich ruhen. Sobald sie allein war, schloss sie die Tür und lehnte sich erschöpft dagegen. Es war lange her, seit sie das letzte Mal eine Nacht lang durchgeschlafen hatte.
Sehnsüchtig schaute sie zum Bett, aber es war zu früh zum Schlafengehen, und dann war da ja auch noch diese Liste …
Also hängte sie ihren Pullover über die Lehne des Klappstuhls, setzte sich und legte die Liste vor sich auf den kleinen Tisch.
Der Tagesplan informierte darüber, dass Emilio um halb acht von seinem Fahrer abgeholt wurde, und zwar pünktlich. Isabelle musste daher spätestens um halb sieben aufstehen, um sein Frühstück zuzubereiten. Wenn sie heute Abend um zehn Uhr zu Bett ging, bedeutete das achteinhalb Stunden Schlaf. Hier gab es bestimmt keine merkwürdigen Geräusche wie im Motel, die sie immer wieder hatten hochschrecken lassen. Sie fühlte sich sicher, und die Aussicht auf ordentliches Essen statt billigem Fast Food hob ihre Laune.
Wenn es ihr gelang, Emilio aus dem Weg zu gehen, war es vielleicht gar nicht so schlecht, einen Monat lang hier zu leben.
Normalerweise schlief Emilio wie ein Baby, aber der Umstand, dass er nicht allein im Haus war, bewirkte, dass er sich die ganze Nacht schlaflos wälzte.
Wie merkwürdig es gewesen war, Isabelle vor seiner Haustür warten zu sehen. Nach so vielen Jahren, die sie getrennt voneinander verbracht hatten. Nachdem sie Betts geheiratet hatte, wollte Emilio nichts mehr mit ihr zu tun haben. Er vermied es sogar, auf Partys zu gehen, wenn er wusste, dass sie ebenfalls eingeladen war. Und er suchte sich seine Freunde und Bekannten sehr genau aus.
Lange hatte er alles getan, ihr aus dem Weg zu gehen, und doch schlief sie jetzt im Dienstbotentrakt seines Hauses.
Er starrte in die Dunkelheit und ließ das Gespräch mit Isabelle noch einmal an sich vorüberziehen. Isabelle hatte sich verändert. Früher war sie scheu und fast ängstlich gewesen. Angesichts seiner harschen Worte hätte sie sich zurückgezogen, ohne etwas zu erwidern. Aber nun schien jede Kritik an ihr abzuprallen. Sie wirkte sogar fast hart. Nun ja, sie war ja auch eine Kriminelle …
Dann fiel ihm ein, was Alejandro gesagt hatte: Sie war zwar nach Aktenlage schuldig, doch es gab neue Ermittlungsergebnisse. War Isabelle vielleicht zu Unrecht angeklagt?
Manchmal wünschte sich Emilio, dass er ihr nie begegnet wäre. Sie dagegen hatte damals behauptet, es sei Schicksal gewesen. Sie wären füreinander bestimmt, und sie habe es sofort gewusst, als sie ihn das erste Mal sah. Bei ihm hatte es eine Weile gedauert, bis er das Mädchen wirklich wahrnahm, obwohl seine Mutter ihn, Izzie und seine Brüder jeden Morgen zur Schule brachte. Sie lieferte Isabelle in der teuren Privatschule ab und ihre Söhne in der kostenlosen staatlichen. Lange war Izzie für ihn nur die Tochter jenes Mannes gewesen, der seiner Mutter Arbeit gab. Außerdem fand er das Mädchen hochmütig. Jahre später hatte Isabelle ihm gestanden, dass sie so verliebt in ihn gewesen war, dass sie in seiner Gegenwart kein Wort herausbrachte.
In seinem letzten Jahr an der Highschool verfügte er endlich über ein eigenes Auto und sah Isabelle selten. Aber auf dem College hatte sie eines Tages plötzlich vor der Tür seines Campus-Zimmers gestanden, das er für das Sommersemester gemietet hatte. Sie war mit der Schule fertig und wollte ab dem Herbst studieren. Ob er ihr wohl die Hochschule zeigen könne? hatte sie gefragt.
Er fand ihr Anliegen ein wenig seltsam, sie kannten sich ja kaum. Aber er kam ihrem Wunsch nach, schließlich stand seine Mutter bei Isabelles Eltern in Lohn und Brot, und er wollte ihr nicht das Verhältnis zu ihren Arbeitgebern verderben. Während sie den Nachmittag miteinander verbrachten, lernte er sie von einer ganz neuen Seite kennen. Sie war intelligent, witzig und verfügte dabei über eine fast kindliche Unschuld. Das faszinierte ihn, und er fand heraus, dass ihre Hochnäsigkeit eigentlich nur ein Schutzschild gewesen war, das sie sich zugelegt hatte, um Schüchternheit und Selbstzweifel zu verbergen. Offen sprachen sie über viele Dinge, und obgleich sie aus
Weitere Kostenlose Bücher