Mein mutiges Herz
fixierte sie scharf und bemühte sich, ihre Gedanken zu lesen. „Ihre Loyalität ist bewundernswert, das muss ich gestehen. Nicht viele Frauen würden den Mut aufbringen, sich darum zu bemühen, einen Mord aufzuklären, um einen Menschen zu beschützen, den sie lieben.“
Lindsey beruhigte sich ein wenig und brachte ein zaghaftes Lächeln zustande. „Ich entschuldige mich für das Täuschungsmanöver. Allerdings hat mir der Walzer mit Ihnen Vergnügen bereitet. Sie sind ein guter Tänzer, Lieutenant.“
Die Spannung um seine Mundwinkel begann sich zu lösen. Er war immer noch erzürnt, aber vielleicht konnte er ihre Beweggründe jetzt nachvollziehen.
„Da Sie nun über mich Bescheid wissen …“, fuhr sie fort, entschlossen, ihr Glück noch einmal zu versuchen, „gibt es etwas, das Sie mir sagen können – selbstverständlich ohne Geheimnisse preiszugeben –, was mir weiterhelfen könnte? Sie wissen ja selbst, dass man oft nicht für bare Münze nehmen kann, was die Zeitungen schreiben.“
Er stieß einen Seufzer aus und hob die Hand, um die Bedienung herbeizuwinken. „Da ich schon einmal hier bin, könnte ich auch eine Tasse Tee zu mir nehmen.“
Dankbar lächelte sie, denn er schien ihr vergeben zu haben. „Das würde mich freuen.“
Das Mädchen brachte ihm eine aromatische Ceylonmischung. Lindsey nippte an ihrer zweiten Tasse Jasmintee und hoffte, Harvey wäre bereit, ihr Auskunft zu geben.
„Wie ich Ihnen bereits gestern sagte, bin ich nicht befugt, polizeiliche Erkenntnisse weiterzugeben. Ich kann Sie lediglich warnen. Falls Sie Ihrem Bruder ein falsches Alibi verschaffen, besteht die Gefahr, dass Sie sich strafbar machen. Früher oder später kommt die Wahrheit ans Tageslicht.“
„Rudy ist unschuldig, das weiß ich. Er war in jener Nacht betrunken und kann sich an nichts erinnern. Deshalb brauche ich Zeit, um herauszufinden, wo er sich aufgehalten hat. Es liegt mir fern, die Ermittlungen der Behörden zu behindern. Ich brauche nur eine Chance, ihm zu helfen, so gut ich kann.“
„Wollen Sie damit sagen, dass er in besagter Nacht nicht zu Hause war?“
Sie verabscheute es, lügen zu müssen, sah sich aber gezwungen, eine Ausflucht zu gebrauchen. „Ich bleibe bei meiner Aussage. Vielleicht bessert sich mein Gedächtnis in naher Zukunft.“
„Dafür können Sie ins Gefängnis kommen, Miss Graham.“
„Ich werde in mich gehen, das verspreche ich Ihnen.“
Er nippte an seinem Tee. „Entweder sind Sie sehr tapfer oder sträflich verwegen.“
Unverwandt sah sie ihn an. „Vielleicht ein wenig von beidem.“
„Ich werde Ihnen das sagen, was die Öffentlichkeit wissen darf, wovon einiges noch nicht in den Zeitungen steht.“
Sie holte Papier und Schreibstift aus ihrem Retikül. „Bitte, fangen Sie an.“
„Beide Mordopfer wurden nur vier Straßen voneinander entfernt aufgefunden. Das erste Opfer, Molly Springfield, war Mutter eines sechs Monate alten Säuglings. Da sie keinen Ehemann hatte, der sie versorgte, ging sie auf die Straße, um sich und ihr Baby durchzubringen.“
Lindsey fröstelte.
„Die zweite war Schauspielerin. Sie spielte gelegentlich kleine Nebenrollen und träumte davon, einmal berühmt zu werden. Sie ließ sich mit Männern ein, die ihr hübsche Kleider und Schmuck kauften.“
„Können Sie mir sagen, wo genau die Frauen getötet wurden?“
„Ich glaube, damit verrate ich kein Geheimnis.“ Er nahm einen Schluck Tee. „Molly Springfield wohnte in einer Dachkammer über einem Pub, dem Boar and Fox. Sie wurde in einer Gasse hinter dem Haus gefunden. Das zweite Opfer, Phoebe Carter, teilte sich mit zwei anderen Prostituierten eine Wohnung in der Nähe der Maiden Lane. Man fand ihre Leiche nur einen Häuserblock entfernt. Es war spätnachts, es gab keine Zeugen … wenigstens haben wir bislang noch keine gefunden.“
„Was können Sie mir über den Tathergang sagen? Gab es möglicherweise Übereinstimmungen in der Todesart?“
Der Lieutenant lehnte sich zurück. „Ich fürchte, diese Details sind vertraulich.“
„Können Sie mir wenigstens sagen, ob die Frauen … missbraucht wurden?“
„Nein, das ist nicht der Fall.“
„Und was …“
„Tut mir leid, weitere Auskünfte kann ich Ihnen nicht geben.“
„Trotzdem bin ich Ihnen sehr dankbar.“
Seine Mundwinkel zogen sich hoch. „Ich hatte mir vorgenommen, wütend auf Sie zu bleiben, was mir nicht gelungen ist. Mein Großonkel, der Duke, lädt demnächst einige Freunde zu einem Theaterbesuch
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