Mein mutiges Herz
nahm er sich vor, als er in sein breites Baldachinbett stieg.
Es war still in der Wohnung. Im Gegensatz zu Leif hatte er keine große Dienerschaft, nur Haushälterin, Koch und Zimmermädchen, die alle nicht bei ihm wohnten. Er brauchte keinen Kammerdiener und keinen vornehmen Butler.
Thor seufzte in die Dunkelheit. Alles, was er brauchte, war, den warmen Körper einer Frau neben sich zu spüren und die köstliche Schwere einer Frauenbrust in seinen Händen. Das Blut schoss ihm in die Lenden. Verlangen pulsierte in ihm. Ein Bild von Lindsey stieg in ihm auf, ihr lächelndes Gesicht, als sie mit dem gut aussehenden Lieutenant getanzt hatte. Sie hatte sich mit der Anmut eines stolzen Schwans bewegt.
Er verfluchte sich, verfluchte Lindsey und versuchte vergeblich, Schlaf zu finden.
Lindsey erwachte im Morgengrauen. Sie hatte ausgezeichnet geschlafen, fühlte sich erfrischt und voller Energie, den Tag zu beginnen. Nach der Morgentoilette zog sie ihre Reithosen an, dazu hohe schwarze Lederstiefel und ein Reitjackett, steckte ihr Haar unter eine schwarze Schirmmütze und begab sich zum Stall, wie es drei Mal in der Woche ihre Gewohnheit war.
Eines der Steckenpferde ihres Vaters war die Zucht von Vollblütern. Die meisten Tiere standen in den Stallungen von Renhurst Hall, dem Familienbesitz in Sussex, aber die Kutschpferde und ein paar Reitpferde waren in einem Stall am Rande von Green Park untergebracht, nur ein paar Straßen von der Stadtvilla in der Mount Street entfernt.
Lindsey, eine passionierte Reiterin, hatte bereits im Sattel gesessen, ehe sie richtig laufen konnte. Der Schicklichkeit halber ritt sie im Damensattel, zog es aber vor, im Herrensattel zu reiten, wann immer sich Gelegenheit dazu bot. Sie liebte das Gefühl der Freiheit, genoss es, sich den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen, wenn sie im gestreckten Galopp dahinjagte. Deshalb sah sie sich gezwungen, sehr früh am Morgen auszureiten, wenn noch kaum ein Mensch im Park unterwegs war.
Lindsey legte den Weg zum Stall mit schnellen elastischen Schritten zurück und genoss die leichte Morgenbrise und die würzige Luft. Der rosige Sonnenaufgang im blassblauen Himmel versprach einen schönen Herbsttag, nachdem die ganze Woche graue Wolken die Tage verdüstert hatten.
„Er steht schon für Sie bereit, Miss.“ Der Stallmeister Artemus Moody, ein rundgesichtiger, stämmiger Mann, der schon in Diensten ihres Vaters stand, als sie noch ein kleines Mädchen war, hielt einen hochbeinigen Rotfuchs am Zügel.
Der fünfjährige Wallach Dancer, ihr Lieblingspferd, wieherte leise zur Begrüßung und tänzelte ungeduldig. Offenbar freute er sich ebenso wie sie auf den Morgenritt.
„Ruhig, mein Guter.“ Sie tätschelte seinen sehnigen Nacken, ließ sich von Mr. Moody in den Steigbügel helfen und schwang ein Bein über den flachen Ledersattel.
„Er kann’s kaum erwarten, Miss. Er braucht dringend Bewegung.“
„Ja, wir beide brauchen dringend Bewegung.“
Artemus grinste breit und gab dem Fuchs einen kräftigen Klaps auf die Kruppe, als er aus dem Stall ins Freie und in die helle Sonne tänzelte. Der Stallmeister kannte Lindsey gut genug, um nicht an ihrem reiterischen Können zu zweifeln und ruhig zu bleiben, als Dancer seitlich ausbrach und wiehernd den Kopf hochwarf, weil ein Windstoß raschelnd in die welken Blätter eines Gebüschs am Wegrand fuhr.
„Beruhige dich, mein Freund“, befahl Lindsey, und das Pferd ließ sich gehorsam im Schritt auf den breiten Reitweg lenken, der den Park umgab.
Um diese frühe Morgenstunde war kein anderer Reiter unterwegs. Lindsey spornte Dancer mit sanftem Schenkeldruck zu einer schnelleren Gangart an und wärmte ihn im leichten Trab auf. Einige Runden später jagten Pferd und Reiter im gestreckten Galopp dahin. Lindsey saß weit vorgebeugt im Sattel, genoss den Wind, der ihr ins Gesicht wehte, und die freudige Erregung, das Muskelspiel des feurigen Vollblüters unter sich zu spüren.
So gerne sie in der Stadt lebte, Renhurst Hall liebte sie noch mehr. Auf dem riesigen Besitz ihres Vaters durfte sie sich frei und unbeschwert bewegen, musste sich nicht vor neugierigen Gaffern hüten, konnte durch die Gegend reiten und den ganzen Tag im Freien verbringen, wenn ihr der Sinn danach stand.
In letzter Zeit verspürte sie eine besondere Sehnsucht nach Renhurst. Wäre die leidige Angelegenheit mit Rudy nicht gewesen, wäre sie letzte Woche aufs Land gereist und hätte sich ein paar Tage von ihrem gedrängten Zeitplan
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