Mein mutiges Herz
ein. Ich würde Sie gerne bitten, uns zu begleiten, fürchte jedoch, es könnte meiner Karriere erheblich schaden, in Begleitung der Schwester eines Mordverdächtigen gesehen zu werden. Vielleicht lässt sich das nachholen, sobald die leidige Sache vorüber ist …“
Lindsey war über ihre Antwort selbst erstaunt. „Ich hätte Ihre Einladung gerne angenommen. Wie Sie schon sagen, vielleicht lässt sich das nachholen …“ Sie hob den Blick. „Nächsten Freitag gibt Lord Kittridge, ein guter Freund Ihres Großonkels, einen Ball zur Feier des achtzehnten Geburtstags seiner Tochter. Ich habe eine Einladung bekommen. Vielleicht sehen wir uns dort.“
Sein Lächeln vertiefte sich. „Ja, auch ich werde anwesend sein.“ Er erhob sich und rückte ihren Stuhl nach hinten.
„Vielen Dank für dieses Gespräch, Lieutenant.“
„Seien Sie vorsichtig, Miss Graham. Sie haben es mit Mord zu tun.“
„Ich werde an Ihre Warnung denken und sehr vorsichtig sein.“
Der Lieutenant beglich die Rechnung und begleitete Lindsey zum Verlagsgebäude. Als sie die Treppe hinaufstieg, bemerkte sie einen großen dunklen Schatten am Fenster. Thor sah sie ebenso finster an wie gestern, als sie mit dem Lieutenant getanzt hatte.
Aus welchem Grund auch immer hellte sich ihre Stimmung bei seinem Anblick auf. Lächelnd betrat Lindsey ihr Büro.
„Sie benehmen sich wie ein leichtes Mädchen.“
„Wie bitte?!“
„Gefällt Ihnen die Gesellschaft dieses Mannes tatsächlich, oder wollen Sie nur Ihre Wirkung auf Männer an ihm erproben?“
Lindsey zuckte mit den Achseln. Michael war ihr sympathisch, wobei ihr Herz in seiner Gegenwart nicht schneller klopfte, so wie sie es in Thors Gegenwart erlebte. Der Gedanke beunruhigte sie. Aber das lag nur am verblüffend guten Aussehen des nordischen Hünen, redete sie sich ein. Jede Frau unter achtzig würde vermutlich von leichtem Schwindel befallen werden, wenn Thor sie mit diesen unbeschreiblich blauen Augen ansah.
„Ich kann ihn ganz gut leiden. Im Übrigen ist es das Privileg einer Frau, mit einem Mann zu flirten, wenn es ihr gefällt.“
„Was bedeutet das Wort Privileg?“
„Es bedeutet, dass ich das Recht zu einem harmlosen Flirt habe, wenn mir der Sinn danach steht. Ihnen gefallen doch Frauen, die sich hilflos geben und affektiert lächeln, nicht wahr?“
„Ihr Benehmen hat mir nicht gefallen.“
Sie blickte zu ihm hoch und legte den Handrücken an die Stirn. „O Thor“, sagte sie leise seufzend, „würden Sie mir bitte zu meinem Stuhl helfen. Ich fühle mich ein wenig matt und fürchte, in Ohnmacht zu sinken.“
Er schnaubte verächtlich, und Lindsey legte die Rolle des schwachen weiblichen Wesens wieder ab.
„Ich habe doch gesehen, wie sich Frauen in Ihrer Gegenwart hilflos und schutzbedürftig benehmen. Vielleicht sollte ich mich in Zukunft auch so verhalten.“
„Dieser Mann denkt, Sie wollen mit ihm das Bett teilen.“
Ihre Wangen übergossen sich rosig. „Unsinn, Sie irren sich!“ Sie eilte an ihren Schreibtisch, setzte sich und machte sich an ihren Papieren zu schaffen.
Thor trat neben sie. „Hat er Ihnen wenigstens gesagt, was Sie wissen wollten?“
„Eigentlich nicht. Er hat erfahren, dass ich Rudys Schwester bin, und war wütend auf mich … anfangs zumindest. Aber ich hoffe, mit der Zeit sein Vertrauen zu gewinnen und seine Bereitschaft, mir zu helfen.“
Thors dunkle Brauen zogen sich zusammen. „Sie wollen ihn wieder treffen?“
„Unsere Wege werden sich gewiss wieder kreuzen.“
Sein Blick durchbohrte sie. „Wie weit wollen Sie gehen, Lindsey, um Informationen von ihm zu erhalten?“
Seine kaum verhohlene Unterstellung machte sie wütend. „Sie … Sie sind kein Gentleman, Thor Draugr. Ich verbiete Ihnen, mir unlauteres Verhalten zu unterstellen.“
„Ein Gentleman bin ich nicht. Aber vielleicht veranlassen meine Worte Sie dazu, sich zu benehmen wie eine Dame.“
Lindsey versagte sich eine weitere scharfe Entgegnung, und Thor verließ das Büro. Ihr Interesse an Michael Harvey machte ihn deutlich ungehalten. Und wieder schmunzelte Lindsey in sich hinein.
Mit erneuter Energie griff sie nach dem Federhalter, um an ihrer Kolumne für die nächste Ausgabe zu schreiben.
Die nächsten zwei Tage verbrachte Lindsey damit, Rudys Freunde zu befragen. Tom Boggs war der verwöhnte Spross reicher Eltern, der vierte Sohn eines Earls und Anführer einer Clique wohlhabender Dandys, die ihre Zeit am Kartentisch verbrachten, sich mit verrufenen Frauen
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