Mein mutiges Herz
wenig Wert auf modisches Aussehen gelegt wurde.
Eine halbe Stunde vor Mitternacht setzte sie ihren Plan in die Tat um. In Rudys alten Kleidern, das Haar unter der Mütze versteckt, schlich sie sich aus dem Haus und eilte zum Droschkenstand an der nächsten Straßenecke, wo Elias Mack wie verabredet bereits auf sie wartete.
Es war so weit.
Nun konnte Lindsey nur noch hoffen, dass ihr Plan auch gelang.
Im Schatten der Gartenhecke stand Thor und hielt den Blick auf den Hintereingang des Hauses gerichtet, aus dem Lindsey auftauchen würde. Er konnte immer noch nicht glauben, dass sie ihren verrückten Plan verwirklichen und sich als Mann verkleidet in eines der verrufensten Viertel der Stadt begeben wollte.
Aber eigentlich sollte er sich nicht darüber wundern. Lindsey war halsstarrig und resolut, und nun, da ihrem Bruder eine Gefängnisstrafe, wenn nicht Schlimmeres drohte, würde sie vor nichts zurückschrecken.
Thor musste etwa eine Stunde im Garten ausharren, bevor die Hintertür sich öffnete und eine schmächtige Männergestalt in die Nacht huschte. Sie hatte sich tatsächlich als Mann verkleidet, wie Krista gesagt hatte. Leise fluchte er in sich hinein.
Die kleine Närrin machte nur Scherereien.
Er konnte ihre Sorge verstehen, war sich jedoch nicht sicher, ob ihr lasterhafter Bruder ihre Fürsorge verdiente. Und es gab Grenzen für eine junge Frau. Mitten in der Nacht als Mann verkleidet zwielichtige Spelunken aufzusuchen überschritt diese Grenzen bei Weitem.
Er ließ ihr einen guten Vorsprung, bevor er die Verfolgung aufnahm, und hielt inne, als ihm klar wurde, dass ihr Ziel der Droschkenplatz an der nächsten Straßenecke war. Dort wartete der Diener Elias Mack auf sie, von dem Krista berichtet hatte. Das Bürschchen war viel zu jung und unerfahren, um sie zu verteidigen, falls sie angegriffen wurde.
Wenn Lindsey etwas zustieß …
Thor biss die Zähne aufeinander. Den Göttern sei Dank, dass Krista sich an ihn gewandt hatte. Er missbilligte Lindseys Verhalten, wollte aber auf keinen Fall, dass ihr Unheil geschah. Er wartete, bis das Paar eine Mietdroschke bestiegen hatte, bevor er die nächste Droschke nahm.
„Covent Garden“, befahl er dem Kutscher. „Fahren Sie hinter der Kutsche vor Ihnen her.“
„Sehr wohl, Sir.“
Angespannt beobachtete Thor, wie das einspännige Gefährt vor ihm in die nächste Straße einbog und noch einmal abbog und sich tiefer in das Viertel der Schnapsbuden, Spielhöllen und Bordelle wagte. In diese Gegend begaben sich Männer, die nächtliche Vergnügungen suchten, keinesfalls jedoch behütete junge Damen. Und Lindsey war eine behütete junge Dame, wie er sich missmutig eingestehen musste, auch wenn sie zuweilen über die Stränge schlug und sich unmöglich benahm.
Der Wagen vor ihm hielt vor dem Golden Pheasant, einer berüchtigten Spielhölle, in der sie nichts zu suchen hatte. Er bezwang den Wunsch, ihr nachzulaufen, sie sich über die Schulter zu werfen und nach Hause in Sicherheit zu bringen.
Das hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Sie würde es in ihrem Eigensinn ein zweites Mal versuchen, und beim nächsten Mal wäre er vielleicht nicht in ihrer Nähe, um sie zu beschützen.
Geduldig wartete er im Schatten, bis sie und der Diener eine Viertelstunde später wieder auf die Straße traten, dann folgte er dem Paar heimlich.
Ein paar Straßen weiter klopfte sie an die Tür eines dreistöckigen, heruntergekommenen Mietshauses. Eine stark geschminkte Frau öffnete.
„Ich bin ein Freund von Phoebe Carter“, hörte Thor Lindsey sagen. „Sie soll hier gewohnt haben.“
Sie machte sich nicht die Mühe, ihre Stimme zu verstellen, und die Frau musterte sie von oben bis unten in ihrer Männerkleidung. „Phoebe ist tot.“
„Ja, das weiß ich. Ich würde gerne mit den Frauen sprechen, die mit ihr die Wohnung teilten.“
„Die Wohnung liegt im dritten Stock, aber die Mädchen sind nicht zu Hause.“
„Gut, dann komme ich ein anderes Mal wieder.“
Die Frau schlug ihr die Tür vor der Nase zu, und Lindsey ging zu Elias zurück, der in der Nähe auf sie wartete. Im Schatten der Häuser folgte Thor dem Paar, das auf den ersten Blick aussah wie zwei junge Männer auf einem nächtlichen Bummel. Der junge Diener schien offenbar keinen Verdacht zu haben, dass sie heimlich verfolgt wurden, und Thor fluchte leise. Der Bursche war zu naiv und als Beschützer völlig untauglich.
Die beiden bogen in eine Seitenstraße ein, die Thor ziemlich gut kannte, da Madame
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