Mein mutiges Herz
junge Dame sind. Ich versuche, Sie zu beschützen, Lindsey, aber ich bin kein Heiliger. Wenn ich Sie küsse, will ich mehr.“ Er rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her und zog seinen Gehrock zurecht. „Ich will jetzt schon mehr, dabei habe ich Sie noch nicht einmal angefasst.“
Ihr Herz jauchzte. Er begehrte sie. Sie war nicht allein mit ihren geheimen Wünschen.
Sie studierte sein schönes Profil und dachte an seinen atemberaubenden Kuss. Und in diesem Moment traf sie eine Entscheidung. Ihre Tante war der Meinung, eine Frau dürfe sich ähnliche Freiheiten erlauben wie ein Mann, solange sie nur Diskretion wahrte. Lindsey war noch nicht bereit, eine Ehe einzugehen, und selbst wenn es einmal so weit wäre, würde sie aus praktischen Erwägungen heiraten, nicht aus Leidenschaft. Ihre Eltern würden darauf bestehen, einen passenden Kandidaten für sie auszusuchen, einen Mann, der ihr bestenfalls ein Freund, ein Kamerad wäre, aber kein Geliebter.
Vermutlich würde sie die Gefühle nie wirklich ausleben dürfen, die Thor mit einem einzigen Kuss in ihr geweckt hatte.
„Ich kann mir ausmalen, was Sie von mir halten, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich kein unberührtes junges Mädchen mehr bin.“
„Wie bitte?“
Sie straffte die Schultern. Sobald er die Wahrheit über sie wusste, würde er sie vermutlich verabscheuen und sie vielleicht für ebenso verworfen halten wie die Mädchen bei Madame Fortier.
Aber dieses Risiko musste sie eingehen.
„Ich war sechzehn, als ich meine Unschuld verlor. Ich dachte, ich sei verliebt … und war neugierig. Eines Nachts ließ ich meinen Verehrer … also, ich ließ ihn gewähren. Die ganze Sache war in wenigen Minuten vorüber und ausgesprochen enttäuschend … für mich wenigstens. Es ist nie wieder geschehen.“
„Dieser Mann hat Ihnen die Unschuld geraubt! Nennen Sie mir seinen Namen, und ich töte ihn.“
Sie verkniff sich ein Schmunzeln. „Das ist nicht nötig. Es war nicht seine Schuld. Ich habe ihn dazu ermuntert. Es war dumm von mir, das weiß ich, aber damals glaubte ich, ich sei in ihn verliebt.“
„Es wäre seine Pflicht gewesen, Sie zu heiraten.“
„Er machte mir einen Antrag, den ich ablehnte. Ich war noch viel zu jung, um zu heiraten, und schon damals wusste ich, dass ich ihn niemals zum Ehemann haben möchte.“
Thor grübelte über ihre Worte nach. „Warum erzählen Sie mir das?“
„Damit Sie wissen, dass Sie mich nicht kompromittieren, wenn wir eine Affäre haben.“ Sie erforschte seine verschlossene Miene bang von der Seite und war sich ihrer Sache plötzlich nicht mehr sicher. „Das heißt, wenn Sie den Wunsch dazu verspüren. Sie müssen sich nicht dazu verpflichtet fühlen. Ich habe nur das Gefühl, dass zwischen uns eine gewisse Anziehungskraft besteht, und dachte mir, Sie würden vielleicht …“
„Schluss damit! Kein weiteres Wort mehr.“
„Aber …“
„Kein weiteres Wort.“
Sie senkte den Blick auf ihren Schoß. Er war wütend. Irgendwie hatte sie ihn gekränkt. Vielleicht aber hatte sie sich auch geirrt und fälschlicherweise Begehren in seinem Blick gelesen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und nun, nachdem sie ihm die Wahrheit gestanden hatte, würde er ihr vielleicht seine Hilfe verweigern. Leif trat morgen eine Reise in den Norden an. Dann blieb ihr nur noch Elias als Beschützer, der dafür eher wenig geeignet war.
Sie hob den Kopf und sah Thor in die Augen. „Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht verärgern. Ich dachte nur … ich weiß ja eigentlich nicht viel über … Ich habe es doch nur einmal getan. Und ich dachte, mit Ihnen wäre es vielleicht anders und …“
„Lindsey“, sagte er leise. „Sie bringen mich um den Verstand.“
Fassungslos starrte sie ihn an.
„Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mit Ihnen das Bett zu teilen. Aber Sie sind Kristas Freundin. Sie sind eine Dame aus gehobenen Kreisen, sosehr Sie das auch leugnen wollen.“
Verzweifelt schluckte sie gegen den Knoten an, der ihr die Kehle zuschnürte. „Aber auch eine Dame hat gewisse Bedürfnisse, Thor.“ Sie wandte den Blick ab. „Gelegentlich fühle ich mich unendlich einsam. Meine Eltern sind nie zu Hause. Rudy schlägt sich die Nächte mit seinen Freunden um die Ohren. Meine Tante ist bei mir, aber das ist etwas anderes. Manchmal liege ich nachts wach im Bett und sehne mich danach, umarmt zu werden von einem Menschen, dem ich etwas bedeute.“
Zu ihrem Entsetzen füllten ihre Augen sich mit Tränen. Verwirrt suchte sie in
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