Mein mutiges Herz
sie in London erhalten hatte. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken.
Neugier verdrängte ihre Beklommenheit; beherzt nahm sie die Botschaft vom Tablett und fragte sich, ob der Absender seine schändlichen Anschuldigungen gegen den Viscount fortsetzte oder ob er sich eine andere Bosheit hatte einfallen lassen.
Sie entfernte sich ein paar Schritte, brach das Siegel und las den Inhalt, in blauer Tinte gekritzelt.
Da Sie sich nun auf dem Lande aufhalten, fangen Sie wohl an, mir Glauben zu schenken. Fragen Sie nach einer gewissen Penelope Barker. Machen Sie das Mädchen ausfindig, und Sie werden die Wahrheit über Merrick erfahren.
Lindsey zerknüllte die Notiz zwischen den Fingern. Ihrem Bruder war es zu verdanken, dass sowohl Tom Boggs als auch Edward Winslow Hausgäste in Renhurst waren. Es war nicht ausgeschlossen, dass einer von ihnen der Übeltäter war, der die Notiz verfasst hatte. Wenn sich ihr Verdacht als zutreffend erwies, würde Lindsey sich den Witzbold vornehmen und ihm ordentlich die Meinung sagen.
Auf der Treppe zu ihrem Zimmer ging sie den Wortlaut der Botschaft noch einmal durch. Sie hatte Merricks Anwesen mehrmals besucht, hatte Fragen über ihn gestellt, aber Stephen erwies sich als Aristokrat von untadeligem Ruf, ein langjähriger Freund der Familie. Im Übrigen hatte sie nie ernsthaft in Erwägung gezogen, er könne etwas mit zwei grausamen Frauenmorden zu tun haben.
Sie war nach Renhurst gekommen, um ihren Bruder aus London fernzuhalten und ein paar erholsame Tage zu genießen.
Oder hatte sie die Reise nur als Vorwand benutzt, um den Verdächtigungen in den Briefen nachzugehen?
Wie auch immer, nun hatte sie eine weitere Anschuldigung gegen Merrick erhalten, und diesmal war sie deutlicher als die beiden vorangegangenen.
In bedrückter Stimmung betrat Lindsey ihr Zimmer, zog an der Klingelschnur und wartete, bis ihr Mädchen erschien, um ihr aus dem Reitkostüm zu helfen. Wer immer diese Notiz geschrieben hatte, zwang sie förmlich dazu, Nachforschungen über Penelope Barker anzustellen und herauszufinden, wo sie wohnte.
Lindsey versuchte nicht daran zu denken, was sie entdecken würde, falls diese Penelope Barker tatsächlich existierte, und wenn ja, was aus ihr geworden sein mochte.
18. KAPITEL
Nach einem opulenten Dinner, bestehend aus Gänseleberpastete, gefolgt von Steinbuttfilet in leichter Zitronencreme, als Hauptgang Fasanenbrüstchen mit Maronenpüree und einem köstlichen Himbeersorbet zum Dessert, erhoben die Gäste sich und gingen allerlei abendlichen Zerstreuungen nach.
Colonel Langtree nahm neben Tante Dee auf dem Brokatsofa im goldenen Salon Platz. Der Earl of Kittridge machte es sich vor dem Kamin bequem und plauderte bei einem Glas Brandy mit dem Earl of Tremaine über Indien, während andere sich ins angrenzende Spielzimmer zu einer Runde Whist begaben.
Lindsey und Coralee gesellten sich zu Colonel Langtree und Tante Delilah, wobei Lindsey sich bemühte, nicht ständig Blicke zu der goldbronzenen Standuhr auf dem Kamin aus rot geädertem Sienna Marmor zu werfen. Seit nahezu einer Stunde versuchte sie, eine plausible Ausrede für einen Rückzug zu finden, bisher ohne Erfolg.
„Wie ich von Ihrer Tante höre, Miss Graham, sollen Sie eine beachtliche Reiterin sein“, richtete Colonel Langtree lächelnd das Wort an sie und lenkte das Gespräch auf seinen Lieblingssport.
Lindsey erwiderte sein Lächeln. „Das will ich nicht bestreiten. Ich reite seit meiner frühesten Kindheit. Deshalb bin ich auch so gerne in Renhurst, wo ich mit den Pferden meines Vaters nach Lust und Laune durch die Gegend reiten kann.“
„Sie ist eine bewundernswerte Reiterin“, fügte Coralee hinzu. „Bedauerlicherweise fehlt mir dieses Talent, aber Gray gibt mir Stunden und meint, ich mache ganz passable Fortschritte.“
„Es ist in erster Linie eine Frage der Übung“, erklärte Lindsey, während ihr Blick zu Tante Dee wanderte, die bildschön aussah in einem burgunderroten, mit pfirsichfarbener Spitze verzierten Seidenkleid. „Meine Tante reitet ebenfalls ausgezeichnet. Ich bin sicher, sie würde sich freuen, Sie auf einer Tour durch den Park und die angrenzenden Ländereien zu begleiten.“
Delilah lächelte strahlend. „Eine fabelhafte Idee, Liebes.“ Sie wandte sich an den Colonel. „Wenn Sie Lust haben, könnten wir morgen einen Ausritt machen.“
„Mit dem größten Vergnügen, Verehrteste.“ Er hielt den Blick einen Moment länger, als schicklich gewesen wäre, in die
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