Mein mutiges Herz
es ihm so schwer machte, sein Versprechen zu halten?
Sie zügelte ihr Pferd neben Thor, der sie aus dem Sattel hob. Sie trug das Reitkostüm aus Samt, das sie tagsüber schon getragen hatte. Der weiche Stoff fühlte sich warm an, wo seine Hände ihre schmale Mitte umfingen. Er atmete ihren Duft ein, einen Hauch nach Blumen und Frau, und in seinen Lenden setzte ein verräterisches Ziehen ein. Sie glich in nichts den üppigen vollbusigen Frauen, die er bislang begehrt hatte, aber dennoch hatte keine andere Frau eine ähnlich betörende Wirkung auf ihn ausgeübt.
„Das Haus ist voller Gäste.“ Ihr Lächeln war nur für ihn bestimmt. „Da Saber und ich uns heute nur beschnuppern, komme ich in diesem Reitkostüm, damit niemand Verdacht schöpft, falls jemand mich auf dem Weg zum Stall gesehen hat.“
Das offene Haar fiel ihr lockig über die Schultern, seitlich über den Ohren mit Schildpattkämmen festgesteckt. Thor sehnte sich danach, seine Finger in ihrer Lockenfülle zu vergraben, sie in seine Arme zu ziehen und leidenschaftlich zu küssen.
Er beherrschte sich und nahm sie bei der Hand. „Komm. Mal sehen, ob Saber dich auch so hübsch findet wie ich.“
Lachend folgte sie ihm und näherte sich dem Hengst, der an einer langen Führleine graste. Saber hob ruckartig den Kopf und blähte die Nüstern.
„Nicht zu schnell“, warnte Thor und zwang sie mit sanftem Händedruck, langsam zu gehen. „Gib ihm Zeit, sich an deine Gegenwart zu gewöhnen.“
Saber schnaubte und begann, mit den Vorderhufen zu stampfen. All seine Sinne waren geschärft.
„Ruhig, mein Junge“, flüsterte Lindsey und näherte sich bedächtig. „Ich tu dir nichts.“
Er tänzelte, hob die Vorderläufe vom Boden und wieherte schrill.
„Rede weiter“, sagte Thor.
„Du bist ein Prachtkerl, ja, der bist du. Hoffentlich lässt du mich aufsitzen. Das wünsche ich mir sehr.“ Während sie sich ihm Schritt um Schritt näherte, redete sie sanft auf ihn ein. Thor ging neben ihr, bereit, sich vor sie zu werfen, falls der Hengst angreifen sollte.
„Ich wette, du kannst sehr schnell laufen“, fuhr Lindsey fort. „Thor meint, du bist so schnell wie der Wind.“
Das Pferd wurde sichtlich ruhiger, legte die Ohren an und stellte sie wieder auf. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf Lindseys raunende Stimme gerichtet.
„Ein so schönes Pferd wie dich habe ich noch nie gesehen“, murmelte sie. „Du hast das Zeug, die edelsten Vollblüter in ganz England zu zeugen.“
Zu Thors Verblüffung wieherte das Pferd leise, senkte den Kopf und trottete auf Lindsey zu, als wären sie alte Freunde. Bei den Göttern, das hätte er nicht einmal zu hoffen gewagt. Nichts in der Haltung des Hengstes deutete auf Aggression hin, keinerlei Anzeichen, dass er in ihr eine Gefahr witterte.
„Ich fasse es nicht.“ In diesem Moment wehte ihn ein Hauch von Lindseys zartem Duft an. Ihre Stimme klang weich und weiblich, und Thor erkannte, dass darin der Unterschied lag.
Langsam streckte Lindsey die Hand aus, kraulte den Hengst hinter dem Ohr und erhielt ein dankbares Schnauben.
„Du bist eine Frau“, sagte Thor. „Er kann keine Männer leiden … aber du bist eine Frau. Offenbar kannte er früher eine Frau, die sich seiner angenommen hat.“
Lindsey legte eine Hand an Sabers Nüstern und rieb ihm mit der anderen den Hals, grub ihre Finger in seine seidige Mähne und streichelte seine glänzende Decke. „Wir werden noch gute Freunde, du und ich, hab ich recht, mein Liebling?“
Sie suchte Thors Blick. „Er fühlt sich von mir nicht bedroht wie von Männern.“
„Offenbar.“
„Er wird zulassen, dass ich ihn reite – das spüre ich.“
„Es ist noch zu früh, um das zu wissen.“
Aber am Ende dieser ersten Stunde wurde es immer deutlicher. Lindsey drückte einen Kuss auf die Stirn des Hengstes. „Wir reiten gemeinsam das Hindernisrennen, Saber. Und wir werden siegen.“
Thor schwieg. Er spürte zunehmend, wie das Band zwischen Lindsey und dem Hengst enger wurde. Saber zeigte keinerlei Feindseligkeit, im Gegenteil, er schien bemüht, Lindsey zu gefallen. Thors Herz klopfte schneller. Wenn Lindsey Saber ritt, bestand die Möglichkeit, das Derby zu gewinnen. Saber wäre gerettet und würde ihm gehören.
Seit Jahren war Thor auf der Suche nach seinem Platz in der Welt. Zum ersten Mal sah er sein Ziel deutlich vor Augen. Er würde es irgendwie schaffen, das Stück Land, von dem er träumte, zu kaufen. Der Hengst würde den Grundstock bilden für seine
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