Mein Name ist Afra (German Edition)
schaute von Rasso zu mir und dann über die Strohdächer von Pitengouua. Zum ersten Mal zweifelte sie daran, ob es richtig war, im Dorf zu bleiben, und ihre Brust hob und senkte sich heftig, als sie die Luft in schweren Seufzern herausstieß und mich fragend ansah. In meinen Gedanken und mit meinen Augen flehte ich sie an, mich nicht zu verlassen, doch über meine Lippen kam kein einziges Wort, und als sie schließlich entschlossen einen weiteren Schritt zurück tat und den Arm um mich legte, fiel ich ihr überglücklich und erleichtert um den Hals.
Wie dunkle Schatten lagen die Augen tief in Rasso´s hagerem Gesicht, und mit leiser Stimme nahm er von uns Abschied. „Gott behüte euch, Richlint und Afra, und alle Engel und Heiligen mögen über euch beide wachen und euch vor jedem Unheil beschützen! Schließt mich in eure täglichen Gebete ein, so wie ich für euch beten werde, und wir werden uns eines fernen Tages wiedersehen!“
Ununterbrochen liefen Tränen über das Antlitz meiner Freundin, als sie ihrem Bruder lange nachsah und dann das Tor hinter ihm verriegelte. Heute weiß ich, daß es die letzten Worte für uns aus dem Munde von Rasso waren, die Richlint und ich an diesem Wintertag hörten, und sie bedeuten mir viel. Denn schon im Sommer desselben Jahres kam ein Bote aus dem Kloster am Amberse mit der Todesnachricht, und es blieb von Folchaids Kindern nur noch meine Richlint und ein ferner und fremder Bruder in Altdorf beim Grafen.
Ω
Wie eine riesige weiße Scheibe stand der volle Mond in dieser Sommernacht über dem kleinen Weiler am Bach und ließ sein milchiges Licht sanft über die Häuser und Hütten mit ihren Strohdächern fließen, tauchte den kleinen Hügel mit der Kirche und dem Gottesacker in milde Helligkeit und warf die Schatten der hölzernen Kreuze schmal und überlang auf die Gräber. Ein leichter Westwind trieb einzelne weiße Wolken vor sich über den Nachthimmel und brachte die schwarzgrauen Erlensträucher am Bachrand zum Erzittern, und am Notstand der Dorfschmiede schlug eine lose herabhängende Pferdetrense mit runden Riemenverteilern aus Bronze immer wieder mit metallischem Laut gegen einen dicken Holzbalken.
Der Weg durchs Dorf am Bach entlang war menschenleer, nur eine scheckige Katze saß auf der Bank unter der großen Linde und putzte sich ausgiebig das dichte Fell, hin und wieder aufgeschreckt von einem plötzlichen Windstoß, der die silbrig glänzenden Blätter des großen Baumes über ihr zum Flüstern brachte. Die Katze spitzte die Ohren und hielt für einen Moment mit ihrer Beschäftigung inne, als vom Wind getragen lautes Lachen und eifrige Stimmen aus dem Meierhof bis zu ihr drangen, doch als die Geräusche verebbten und es wieder still wurde, fuhr das Tier mit seiner kleinen Zunge noch ein paarmal über den Pelz und rollte sich dann zufrieden zusammen.
Als leise knarrend die Tür der schiefen Hütte neben dem Hollerbusch aufging und eine Frau heraustrat, die sich vorsichtig umschaute und dann mit schnellen Schritten zum Zaun lief, bemerkte die Katze unter der Linde das wohl, aber sie rührte sich nicht. Den dreieckigen Kopf auf den Vorderpfoten blieb sie unbeweglich liegen, und nur die im Licht dieser Nacht leuchtenden Augen des Tieres verfolgten aufmerksam den Weg der eiligen Frau, die sich immer wieder umsah und anscheinend von niemandem ertappt werden wollte. Am hohen Zaun angelangt, verharrte die Frau für einen kurzen Augenblick und schaute den Bach entlang zum Meierhof zurück, wo die Dorfbewohner in diesen hellen Nächten beieinander saßen und Wein und Met tranken, lustige Geschichten und alte Sagen erzählten und fast bis zum Morgengrauen keinen Schlaf suchten. Nur Kranke und Säuglinge lagen in so einer Nacht auf ihrer Bettstatt, aber von den Männern, Frauen und Kindern des kleinen Weilers am Bach, ob alt oder jung, frei oder unfrei, arm oder reich, wollte niemand den heiteren Abend beim Meier versäumen, und keinerlei Verständnis war in den fröhlichen, vom Wein geröteten Gesichtern der Menschen zu erkennen gewesen, als die noch junge und gesunde Frau sich schon am frühen Abend in ihre einsame Hütte zurückgezogen hatte.
Der feste Zaun aus dicken Holzbohlen und gefährlichen Spitzen umschloß fast das ganze Dorf, nur zum Meierberg mit der Burg hin lag der Weiler offen, und im Süden und Osten gab es breite, doppelflügelige Tore, die tagsüber weit offen standen, in den Nächten aber sorgsam verriegelt wurden. Die Frau aber wußte genau, wo es
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