Mein Name ist Afra (German Edition)
Dorfplatz vor all den staunenden Menschen angekommen waren, sondern ließen die unruhigen Tiere von Dienern am Zügel festhalten. So leutselig wie der verstorbene Eticho, der gern einen Becher Wein im vertrauten Kreis seiner Gefolgsleute und Leibeigenen getrunken hatte und sich für niemand zu fein gewesen war, war Roudolf nicht, und er wahrte in all seinen Handlungen den gegebenen Abstand. Mit einer Handbewegung beorderte Roudolf Wicpert und Wezilo zu sich und befahl ihnen, sich neben dem älteren Mönch in schmuckloser grauer Kutte, der den Grafen stets begleitete und der sein Schreiber und Hauspriester war, als Zeugen aufzustellen. Dieser Mönch holte nun einen Bogen Pergament und mehrere bereits zugespitzte Vogelfedern aus seinem Gepäck, und ein Diener stellte einen tragbaren kleinen Tisch vor ihm auf die Erde, damit der gebildete Mann den Erlaß seines Herrn schriftlich festhalten konnte. Noch nie hatte ich jemand schreiben gesehen, bei uns im Dorf konnte außer dem alten Priester kein Mensch lesen oder gar schreiben, und mit Staunen beobachteten wir alle den Mönch, der nun umständlich und sehr eindrucksvoll eine dicke, dunkle Flüssigkeit in eine Schale schüttete, den Federkiel darin eintauchte und sich zum Schreiben bereit machte.
Folchaid und ihre vier Kinder wurden nach vorne gerufen, direkt vor dem Grafen, dem Mönch und den zwei Zeugen sollte sich die Familie aufstellen, so daß das ganze Dorf sie sehen konnte. Folchaid trug den Säugling auf ihrem Arm, ruhig und sicher, mit hocherhobenem Kopf ging sie durch die vielen Menschen, die ihr nicht alle wohlgesonnen waren. Ich bemerkte, wie der Graf und seine Frau sie sehr genau musterten, denn die beiden sahen Folchaid ja zum ersten Mal, und sie hatten wohl schon viel von der außergewöhnlichen Schönheit gehört, die den Grafen Eticho so bezaubert hatte. Und schön war sie immer noch, trotz den vielen Schwangerschaften und ihrem harten Schicksal stand Folchaid schlank und anmutig in einem einfachen, braunen Kleid vor all den Leuten und erwartete ruhig den Spruch, der ihr weiteres Leben entscheiden sollte. Dicht an der Seite seiner Mutter, fast wie zu ihrem Schutz, stand der dreizehnjährige Rasso. Groß und schlank, seinem Vater so sehr ähnlich in Aussehen und Bewegung, daß es den Grafen sichtlich verwunderte, beugte auch Rasso seinen Kopf nicht vor den edlen Herrschaften, sondern stellte sich mit einer Mischung aus Gelassenheit und Trotz aufrecht vor seinen hoch auf dem Pferd sitzenden Onkel. Seine Augen konnte ich nicht sehen, denn er stand mit dem Rücken zu mir, aber die hilflose Art, wie Rasso seine Schultern straffte, und sein schmaler, empfindsamer Nacken mit den dunklen Locken darüber berührte mein ganzes Herz.
Richlint führte den blonden Eticho an ihrer Hand, als sie nach vorne trat, und sie stellte sich mit dem Kleinen auf die andere Seite von Folchaid, nach dem Kleid der Mutter greifend. Suchend schauten ihre großen, braunen Augen über die Leute hinweg nach Justina, die etwas abseits von den Dörflern auf einer kleinen Anhöhe weit hinten stand und Richlint´s Blick ruhig und fest erwiderte. Es war eine große Hilfe für meine Freundin, daß Justina und ich da waren, das spürte ich genau, als sich unsere Augen trafen und sie mir ein kleines, verzagtes Lächeln schenkte, bevor sie sich ganz dem Grafen zuwandte, der jetzt zu sprechen begann.
„Ihr Leute aus Pitengouua, von Dornau und Haslach, und wo ihr sonst eure Höfe habt hier im Gau! Ich bin Graf Roudolf von Altdorf, und ich stehe hier auf meinem Grund und Boden mit dem Recht, zu entscheiden und zu richten über euch alle, mit Gottes gütiger Hilfe und seiner reichen Gnade, aus meiner Kraft und eigenem Vermögen und mit dem Rang, den mir der mächtige und tapfere Herzog Berthold verliehen hat. Keiner unter euch soll mein Wort anzweifeln, oder gar gegen meinen Willen handeln, wenn es ihm auch mißfällt, was ich anordne. Doch ihr freien Männer von Pitengouua habt das Recht, eure Einwände hier vor allen Leuten vorzubringen, und wenn euch Nachteile entstehen oder eure Arbeit behindert wird, so sollt ihr anschließend frei und sicher sprechen, ohne Angst vor Vergeltung oder Strafe.“
Klar und bestimmt waren die Worte des Grafen, noch in der hintersten Reihe deutlich zu vernehmen, und die führenden Männer des Dorfes, Wezilo, Wicpert und Sigiboto, nickten zustimmend zu seiner angemessenen Rede. Roudolf schwieg für einen Moment und gab dem eifrig kritzelnden Mönch damit Zeit,
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