Mein Name ist Afra (German Edition)
und die beiden Mädchen liefen ins Badehaus, um ihre eigenen Kleider wieder anzuziehen. Dann half Rasso seiner Schwester auf den Schecken, sprang hinter ihr auf den Pferderücken und hielt Richlint gut fest, als sie über die alte, niedrige Mauer sprangen und in Richtung Pitengouua davon ritten. Justina und Afra standen stumm da und sahen den Geschwistern nach, bevor sie sich zusammen mit Cimbro zu Fuß auf den Weg machten, und die schwarzhaarige Frau seufzte tief und sah zum mit weißen Wolken bedeckten Himmel hinauf. „Vanth, geflügelte Göttin, die du schon meine Mutter beschützt hast, zu dir bete ich, dich bitte ich aus tiefem Herzen, sorge für dieses Kind, schütze die kleine Richlint!“
Afra
An diesem Sonntag im Frühling 940, den Richlint und ich draußen im Weinland bei Justina verbracht hatten, holte Rasso uns aus aufregenden Gesprächen über unser Leben und die ganze Welt plötzlich heim ins Dorf, denn Graf Roudolf war mit seiner Frau und großem Gefolge aus Altdorf gekommen, und vor ganz Pitengouua wollte er seine Entscheidung über die Friedelfrau und die Kinder seines verstorbenen Bruders Eticho kundtun. Richlint war mit ihrem Bruder auf dem Schecken meines Vaters zurück geritten, und als Justina und ich mit dem weißen Hund im Dorf eintrafen, nach einem schnellen und fast wortlosen Fußmarsch entlang der Pitenach, waren schon sehr viele Menschen aus dem Umland in Pitengouua, und ein aufgeregtes Summen wie von einem Bienenschwarm lag über dem ganzen Ort.
Der Graf kam nicht eher vom Burgberg herunter geritten, bis nicht alle wichtigen und unwichtigen Leute aus dem Gau versammelt waren, und es dauerte einen ganzen Tag, bis alle da waren, die Haslacher vom Schnaitberg, die Dornauer von der Lecha drüben und alle anderen Menschen in und um Pitengouua. Am frühen Abend standen wir dann auf dem Dorfplatz vor unserer Kirche, nach Stand und Vermögen aufgereiht, in den besten Kleidungsstücken, die wir besaßen, die freien Männer ganz vorne beisammen, mit ihren Waffen und dem vollständigen Wehrgehänge, zuvorderst der Burgvogt Wicpert als Gefolgsmann des Grafen, dann mein Vater Wezilo, der Meier des Dorfes, der stolze Haslachbauer Sigiboto mit seinen drei Söhnen, Severin von Dornau mit Arbeo und dessen kleinem Bruder Aistulf, und dann die zinspflichtigen freien Bauern und Handwerker unserer Gegend, und ganz hinten all die Knechte und Leibeigenen der Burg und des Meierhofs. Die Frauen und Mädchen standen in derselben Reihenfolge, aber getrennt von den Männern und Söhnen, alle mit ihren besten Gewändern und dem schönsten Schmuck, den sie besaßen, von der einfachen Ziernadel bis zur kostbaren Kette aus Bernstein, die Uoda um den Hals trug. Von meinem Platz in der ersten Frauenreihe neben Rautgund und Walburc konnte ich alles sehr gut sehen, und es war ein schönes, buntes Bild voller Reichtum und Leben, aber ich war so aufgeregt und zittrig wegen meiner Freundin Richlint, deren Schicksal sich nun endgültig entscheiden sollte, daß ich es nicht in Ruhe betrachten konnte, wie ich es sonst wohl getan hätte.
Mit Ungeduld erwarteten wir alle den Grafen, und als er endlich hoch zu Roß erschien, ging ein Raunen durch die versammelte Gemeinde, denn zusammen mit seiner Frau bot er den einfachen Dörflern einen prächtigen Anblick. Roudolf war nicht so groß und gutaussehend wie sein verstorbener Bruder Eticho, sondern ein kleiner, hellhäutiger junger Mann mit schon schütterem Haupthaar, der aber so sicher und bestimmt auftrat, daß niemand seine Macht und seinen Einfluß in Frage stellte. Seine Stellung und seinen Rang unterstrich er mit teurer Kleidung aus Seide und feinster Wolle und den kostbarsten Waffen, die wir je gesehen hatten; das scharfe Schwert steckte in einer mit vielen Edelsteinen besetzten Scheide, und Schild und Helm des Grafen waren mit biblischen Szenen in Silberblech verziert. Unser neuer Herrscher ritt einen lebhaften Rapphengst, dessen tiefschwarzes Fell im Licht der Abendsonne glänzte wie Rabenfedern; das Pferd von Frau Itha an seiner Seite war weiß wie Schnee, mit dichter Mähne und langem Schweif, und reich verziertes Zaumzeug und ein wertvoller Sattel schmückten das besondere Tier. Von Itha selber ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben, denn die kleine, zarte Erscheinung mit der kostbaren Umhüllung sprach kein einziges Wort in Pitengouua, sondern folgte nur in allem ihrem Gatten.
Der Graf und seine Frau stiegen nicht von ihren Pferden, als sie auf dem
Weitere Kostenlose Bücher