Mein Name ist Afra (German Edition)
lebte und keinen Mann zu ihrem Schutz hatte. Deshalb schlug ich ihr vor, die Leute vom Dorf zu warnen vor dem kommenden Unheil, und ihr Geliebter Arbeo sollte Justina zu sich auf den sicheren Hof in der Dornau holen. Aber von diesen Vorschlägen wollte Justina nichts hören.
„Das hat keinen Sinn, Afra, das darfst du mir glauben! Die Pitengouuer würden mich auslachen und mit Stockhieben aus dem Dorf jagen, wenn ich ihnen von heidnischen Vorzeichen und meiner uralten Göttin erzählte! Sie würden mir niemals glauben und doch bloß in die Kirche gehen und beten und sonst nichts tun, als auf ihren Gott zu vertrauen. Und Arbeo kann mich nicht nach Dornau holen, denn kein Mensch darf von unserer Beziehung erfahren, und hier auf dem halbverfallenen Hof, wo es nichts zu holen gibt als ein paar magere Ziegen und Gemüse und wilde Kräuter bin ich sicherer als auf dem reichen Gut in der Dornau! Wen das Unheil trifft, entscheidet das Schicksal und die Götter, und wir Menschen können wenig dazu tun.“
Noch lange sprachen wir an diesem Sonntag über die Zeichen von Justina, und sie konnte uns endlich überzeugen, mit niemand darüber zu reden und die unheimliche Warnung für uns zu behalten. Als wir uns von ihr am Abend verabschiedeten, weinten wir beide, Richlint und ich, denn wir hatten große Angst, sie nie wieder zu sehen, und als wir schon ein Stück weit gegangen waren, schaute ich noch einmal zurück und sah die schlanke, dunkle Gestalt von Justina immer noch am Tor stehen, regungslos wie ein Baum stand sie da, den riesigen weißen Hund wie einen Wächter aus den Sagen der Unterwelt neben sich gelagert. Ich nahm mir vor, noch heute abend in die Kirche von Pitengouua zu gehen und auf meinen Knien für Justina, meine Familie und alle anderen Menschen vom Dorf zu beten, obwohl wir schon mittags ein Räucheropfer für die Göttin gebracht hatten. Ob es nur einen Gott gab oder mehrere, darüber war ich mir nie ganz sicher, und es konnte bestimmt nicht schaden, auch den christlichen Jesus und seine Heiligen um Beistand und Schutz zu bitten.
Während der Morgenröte des nächsten Tages brachen wir auf an den Staphinse. Wezilo saß auf einem feurigen braunen Hengst, den nur der Meier selbst reiten durfte und der sein ganzer Stolz war, niemand konnte mit dem lebhaften Tier so gut umgehen wie mein Vater. Richlint und ich durften seinen gutmütigen, dicken Schecken reiten, und auf dem breiten Rücken des Tieres war Platz genug für uns Mädchen. Rasso und Wichard ritten alleine, jeweils auf einem Pferd von der Burg, mit Wehrgehänge und ihren Schwertern ausgerüstet machten sie einen eher kriegerischen Eindruck, als ob wir nicht friedlich zum Markt und zum Kloster ritten, sondern gegen einen wilden Gegner. Wezilo und die Knechte grinsten, als sie die Jungen in ihrer Ausrüstung sahen, und Lutold und Ternod machten einige so derbe Scherze, daß die zwei Buben rot anliefen im Gesicht und der Meier Einhalt gebot. Zwei gut gebaute Karren führten wir mit, mit Wagendächern aus sorgfältig vernähten Häuten bezogen, damit wir auch reißende Bäche und den Fluß Ambra durchqueren konnten und nichts naß wurde. Die Karren wurden von braven Ochsen gezogen, ein Knecht ging zu Fuß nebenher, um die Tiere zu lenken und anzutreiben. Auf dem Wagen von Lutold saßen neben den Gaben für das Kloster meine Schwester Walburc und die dicke Liutbirc unter der Plane, die Mädchen fürchteten sich vor dem Reiten auf unwegsamem Gelände und wollten lieber gefahren werden. Im anderen Karren, den Eberolf und Ternod führten, waren die Felle für den Verkauf gelagert und in einer großen Holzkiste fiepten die Welpen, die Wichard mit der Hilfe von Wezilo auf dem Markt für seinen Vater verkaufen sollte, denn Wicpert war berühmt für seine gut ausgebildeten Jagdhunde, und er züchtete die braungefleckten Hunde mit Leidenschaft.
Voller Aufregung hatten wir die bösen Vorzeichen von Justina schon fast vergessen, als wir zum Abschied unseren Müttern eifrig zuwinkten und nicht wußten, daß wir sie zum letzten Mal lebend sahen. Rautgund und Folchaid standen zusammen auf dem Hofplatz des Meieranwesens und blickten uns lange nach, als der kleine Trupp den schmalen Pfad Richtung Schnaitberg einschlug und wir auf die Berge zuritten.
Der Weg zum See war sehr schlecht und mühsam im ersten Teil, und stellenweise gefährlich für Mensch und Tier. Zunächst ging es bei den Haslachhöfen vorbei durch ein finsteres Waldstück, auf aufgeweichtem Waldboden
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