Mein Name ist Afra (German Edition)
Pflanzen darunter leiden, oder daß das Essen verdirbt. Im Gegenteil, manchmal habe ich das Gefühl, daß gerade an diesen Tagen mehr Liebe und Einfühlsamkeit in die göttliche Ordnung in mir ist als sonst!“
Justina legte einen Arm um Richlint und den anderen um mich, und während wir so fast schon getröstet eng beieinander saßen, berichtete sie darüber, was ihr die eigene Mutter zum Blutfluß erzählt hatte. „Das Volk meiner Mutter und auch ihre römischen Nachfolger nannten diese besondere Reinigung die Blüten der Frauen, denn so wie der Baum ohne Blüten keine Früchte hervorbringt, so bleibt es den Frauen ohne die eigenen Blüten versagt, ein Kind zu empfangen. Das ist es, Afra, was dir gerade widerfährt, du trägst deine eigenen Blüten, und darin ist nur Schönes und Reines zu sehen!“
Wir vertrauten Justina mehr als irgendeinem anderen Menschen und waren durch ihre Worte versöhnt mit unserem Schicksal als Frauen. Aber im Dorf erzählten wir niemand von den Blüten und Früchten, nicht einmal Walburc weihten wir ein, denn sie hätte uns nicht verstanden und wäre entsetzt gewesen, wenn wir an der Lehre der Kirche, in der Frauen als schwach und unrein galten, gezweifelt hätten. In Pitengouua hielten wir uns an die Regeln, die für alle Frauen galten, frei oder unfrei, arm oder reich, aber auf dem alten Gut bei Justina waren wir erlöst und glücklich an allen Tagen.
Ω
Es war zur Mittagsstunde im Jahre 945 auf dem Gutshof in der Dornau, als der Weinhändler Hildeger aus der stickigen, dunklen Stube des Haupthauses in die schon recht warme, verheißungsvolle Luft des kommenden Frühjahrs draußen auf den Hofplatz trat. Er hatte soeben als Gast das Mittagsmahl zusammen mit den Herren des Gutes eingenommen, mit dem alten Severin und seinen Söhnen Arbeo und Aistulf, und die Stimmung beim Essen war seinen Absichten, gute Geschäfte zu machen, nicht gerade förderlich gewesen.
„Alte Streithansel!“ dachte er bei sich grimmig, und er stapfte ein Stück über die mit Resten von Schnee bedeckte Wiese vor den Gebäuden, um einen Blick hinunter zur Lecha zu werfen. Der schon seit Jahrhunderten bewirtschaftete Dornauer Hof lag auf einer großflächigen Anhöhe oberhalb des stürmischen Gebirgsflusses, steil fielen die kalkigen Wände des Flußbettes nach unten ab und boten dem Anwesen so von der Ost- und Südseite her genügend Schutz vor menschlichen Eindringlingen und wilden Tieren. An der westlichen Seite erhob sich ein dicht bewaldeter Hügel mit mächtigen, alten Bäumen, in dessen Schatten sich ein Stück unterhalb die Ställe für Kühe, Schafe, Ziegen und Pferde und mehrere Schweinekoben, das langgestreckte Wohnhaus und die kleine, hölzerne Eigenkirche mit der seit Urzeiten bestehenden steinernen Grablege des Dornauer Geschlechts zusammen drängten. Schon seit vielen Generationen waren die Dornauer eine reiche, wohlhabende Familie, und der Händler, der auf ein gutes Geschäft gehofft hatte, stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sich am Abhang zum Fluß an einem verwitterten Holzgeländer aufstützte und die Lecha beobachtete, wie sie wild und ungebändigt in ihrem breiten Bett herab tobte, übervoll mit dem grüngrauen, eiskalten Schmelzwasser der fernen Gletscher, abgerissene, tote Äste und ganze Baumstämme mit sich führend.
„Das wird wohl nichts werden mit dem Weinverkauf! Wenn die so miteinander streiten, Severin und Arbeo, dann wird aus der ganzen Hochzeit nichts, und ich bin umsonst hierher gekommen! Dabei hätten sie reichlich Gold und Münzen in ihren Holzkästen, diese feinen Leute, und es wäre ein leichter Handel geworden für mich,“ dachte Hildeger, und er strich sich mit der Hand über den mittlerweile schon fast kahlen, rundlichen Kopf, und überlegte, welchen Weg es außer der Furt in der Lecha, die bei den tosenden Wassern viel zu gefährlich war, sonst noch nach Pitengouua gäbe. Denn heute noch mußte er dort hinüber, nachdem er von Severin erfahren hatte, daß in wenigen Tagen Bischof Udalrich aus Augusburc erwartet wurde, der die Kirche und die Menschen des Dorfes besuchen wollte und von dort mit einigen Edelleuten weiter nach Rom zu ziehen beabsichtigte. In seiner Obhut sollte der Sohn König Ottos sein, der fünfzehnjährige Liudolf, den sie alle nur Dudo riefen, und Hildeger wollte natürlich den Königssohn sehen und den hochgeborenen Herren etwas von seinem guten Wein antragen. Der jung verheiratete Rasso von Andehsa würde dabei sein, einige alemannische
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