Mein Name ist Afra (German Edition)
Utz und Chuonrad führten die Aufsicht und überwachten den Transport und das Verladen an der Floßlände, und den Frauen auf dem Hof, Freien und Unfreien, blieb nur das bange Warten und Hoffen, daß die Flößer wieder gesund ins Haslach zurück gelangten. Nach Augusburc dauerte die Fahrt auf der wilden und ungestümen Lecha gut einen halben Tag, dabei kenterte so manches Floß in den Strudeln und Strömungen des Gebirgsflusses und begrub dabei einen Knecht für immer in den eiskalten und reißenden Fluten. Auch der Rückweg zum Hof war nicht ungefährlich für den kleinen Trupp, denn die Männer waren zu Fuß unterwegs, mit dem Gold vom Kohlehandel in den Beuteln und Taschen, und gemeine Strauchdiebe und Räuberbanden lauerten auf den Wegen und Trampelpfaden um die Städte auf leichte Beute.
Richlint war klug und geschickt, von schneller Auffassungsgabe, und bereits nach dem ersten Ehejahr leitete sie die Mägde bei allen Arbeiten an, kochte das Essen im Langhaus genau so, wie sie es von Hedwig gelernt hatte und wie es den Männern mundete, und wenn Chuonrad und Utz tagelang mit den Flößern unterwegs oder auf Märkten und Gerichtssitzungen in den Nachbargemeinden waren, dann verteilte sie die Aufgaben auch an die Knechte und trieb ihre Forderungen bei den Hörigen gerecht und nach alter Sitte ein. Sie arbeitete jeden Tag fast bis zur Grenze ihrer Kraft, doch niemals kam ein Wort der Klage oder des Unwillens über ihre Lippen, wenn sie auch selten lächelte und fröhlich war. Chuonrad hätte mit seiner Frau zufrieden sein können, denn sie war geschickt und fleißig, aber nach vier langen Jahren hatte sie noch immer kein Kind geboren, und für den Haslachbauern war ein männlicher Erbe das wichtigste Ziel seiner Heirat, seine Frau bedeutete ihm nichts.
Die alte Frau in ihren Decken und Tüchern seufzte laut, und Richlint, die neben ihr auf den Stufen hockte und gedankenverloren über den Hofplatz schaute, wußte genau, was jetzt wieder zur Sprache kommen würde. Hedwig war sehr unglücklich darüber, daß sie noch keine Enkelkinder hatte, und den ganzen Tag und die halbe Nacht auf ihrem Bett zerbrach sie sich darüber den Kopf. „Richlint, du solltest im kommenden Frühling eine Wallfahrt machen, vielleicht nach Eichstat zur heiligen Walburc oder ins Kloster nach Burin! Dort bringst du dann ein reiches Opfer dar, mehr als Wachs oder feine Tuche, vielleicht einen Kerzenhalter und sogar einige Goldmünzen, und dann bittest du inständig um den Segen und die Fürsprache der Heiligen, damit dir ein Kind geschenkt werde.“ Aufgeregt packte Hedwig die junge Frau am Arm. „Ja, das ist ein guter Gedanke von mir, diese Fürbitten helfen doch immer! Daß ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin! Gleich heute noch werde ich mit Chuonrad darüber sprechen, er wird dir schöne Opfergaben mitgeben und dich sicher begleiten, du wirst gesegneten Leibes ins Haslach zurückkehren!“
Richlint hielt den Kopf gesenkt und schaute die alte Frau nicht an, sondern strich nur besänftigend über die dünnhäutige, mit blauen Adern überzogene Hand. „Und noch etwas will ich dir sagen, Richlint, wenn wir beide gerade allein sind und kein Mann uns hören kann! Du bist eine sehr fromme Frau und eine gute Christin, das schätze ich wohl an dir, aber vielleicht bist du doch zu gewissenhaft und gründlich mit deiner strengen Einhaltung der Keuschheit an den Feiertagen und während der Fastenzeiten! Die Gesetze unserer Kirche sind sicher richtig und von Gott bestimmt, daran will ich nicht zweifeln, aber die wichtigste Aufgabe einer Frau in der Ehe ist es doch, Kinder zu empfangen und zu gebären, und die Enthaltsamkeit ist dazu nicht der richtige Weg. Diese lange Fastenzeit vor dem Osterfest, der Advent, die Sonntage, die Pfingstwoche, die Mittwoche und Freitage und all die vielen Festtage zu Ehren der Heiligen, dein häufiger Gang zu den Sakramenten, wo du am Tag davor und am Tag danach nicht mit deinem Mann beisammen sein darfst, ihr liegt ja kaum mehr als eine Nacht im Monat wie Eheleute beieinander, du und Chuonrad!“ Hedwig war von den eigenen Worten so aufgewühlt, daß ihr blasses Gesicht rote Flecken bekam und die wollenen Decken durch eine heftige Bewegung zu Boden rutschten. Richlint stand auf und stopfte die Tücher wieder sorgsam um die alte Frau, denn die Novemberluft war kalt und schneidend, aber sie vermied es dabei, ihrer Schwiegermutter in die Augen zu sehen, und sie sprach noch immer
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