Mein Name ist Eugen
verteilt hatten.
Ich weiss ferner noch, dass keine vier Minuten nachher der Kondukteur auf seinem Rücken lag und seinen Anteil am Sirup bekam, und zwar mehr äusserlich. Ich weiss auch noch den Zorn des Publikums und die Trauer der Frieda, bloss eines weiss ich ganz und gar nicht: Wie das Land zwischen Amsteg und Airolo aussieht.
So war der Sirup hin und die schweizerische Bundesbahn empört. Der Wagen musste ausgewechselt werden. Das kostete fünf Franken. Der Frieda war leider schon viel zu sehr abgetropft, als dass man vom restlichen Sirup noch etwas gehabt hätte, und trotzdem verfolgte uns diese Flüssigkeit bis tief ins Lager hinein, denn noch einmal wurde ein Gedicht entworfen und auf der Schreibmaschine des Sindaggo ins Reine geschrieben und an Herrn Stucker & Zesiger geschickt, aber weil sich niemand mit dieser Maschine auskannte, passierte das Missgeschick, dass es auf der Adresse hiess: «Herrn Fratz Stucker & Zesiger», und diesen Fratz hat uns der Herr vom Lebensmittel engros nie verziehen, so dass auch fürderhin kein Sirup mehr zu haben war.
Bloss ein Gedanke riss uns im Gotthardtunnel drin aus der Trauer: Dass es nämlich von Airolo an hinuntergeht und darum das Velofahren zur Freude wird. Kaum waren wir aber ausgestiegen, empfing uns der Föhn. Und was für einer! Ging es ebeneswegs, so musste man absteigen, weil man gegen solchen Wind nicht aufkam. Ging es ein wenig hinunter, so fuhr man mit knapper Not wie bergauf; und wurde das Gefälle fast senkrecht, so brachte man es endlich mit Mühe auf 20 Kilometer.
Das Gemeine an der Sache war, dass alle Velofahrer, die uns talaufwärts begegneten, mit den Händen in den Hosensäcken die Steigungen erklommen und uns, die wir hinunterrackerten, weidlich auslachten. Ein einziges Mal, hinter Faido, liess der Wind für zwei Minuten nach, damit wir merken konnten, wie schön es wäre ohne Föhn. Der Sikki beugte sich über die Lenkstange und nahm die Beine hinten hoch wegen des Luftwiderstandes, und ich glaube, damals hätte er es zu einer Schussfahrt gebracht, aber leider, leider drückte er mit dem Fuss das Schloss hinein, welches eine halbe Sekunde mit den Speichen Harfe spielte, aber dann waren die Speichen weg, und der Sikki sank in sich zusammen.
Wie wir nach Tenero gekommen sind, will ich nicht beschreiben: Genau wie Napoleon in Russland, und das brachte unseren Führer darauf, unterwegs das Beresinalied anzustimmen. Das nahm uns vollends alle Kraft. Jenes «Mutig, mutig, liebe Brüder» wäre noch gegangen, aber als es dann hiess: «Morgen geht die Sonne wieder freundlich an dem Himmel auf», war es des guten zu viel. Dass die Sonne schon heute geschienen hatte, und zwar mit verbissener Freundlichkeit, kann ich bescheinigen.
Mit letzter Anstrengung bezogen wir den Lagerplatz in Tenero, auf der Matte am See; mit müdem Murren stellten wir die Zelte auf, und spannend wurde das Leben erst wieder, als am fünften Tag der grosse Handballmätsch unserer beiden feindlichen Mannschaften ausgetragen wurde. Der ist zu denkwürdig, um übergangen zu werden.
Torhüter der gegnerischen Mannschaft war der Hänneli. Der Wrigley sagt von ihm, er habe noch nie einen Menschen so innig und so von ganzem Herzen gehasst, wie diesen Hänni.
Das kam nur vom Brot und war folgendermassen:
Der Hänneli ist eineindrittel Kopf grösser als wir alle zusammen, und es ging das Gerücht um, er sei deshalb so gross, weil er als Kind immer Elefantenmilch bekommen habe, als sein Vater Kellner im Kaffee Kongo war, was wohl nicht stimmt. Wrigley meinte, der sei viel eher mit Hornochsenmilch oder Kamelsmilch aufgezogen worden, denn im Verhältnis zu seiner Grösse war er nicht der Hellste.
Item, dieser Hänneli war in Tenero verhasst, weil er das Brot unter sich hatte, das er beim Essen verteilen musste, wobei er immer fragte:
«Eugen, willst du viel?»
«Nein, nur ganz wenig.»
Aber dann schnitt er ein Wagenrad ab, mit dem man eine Nation füttern könnte. Sagte man ihm aber:
«Hänneli, ich sterbe vor Hunger! Schick mir ein halbes Brot», so zwickte er einen Schnitzel ab, der sich ohne Mühe in eine Briefmarke wickeln liess.
Drum versuchte der Wrigley mit ihm einmal sein Spezialverfahren, als er sich den Magen verdorben hatte: Er forderte vom Hänneli eine Doppelportion Brot — und bekam sie auch, und der Brotchef ruhte nicht, bis die ganze Doppelportion im Innern des wütenden Wrigley verschwunden war. Kein Wunder, dass man im Handball einen solchen Gegner nicht
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