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Mein Name ist Eugen

Mein Name ist Eugen

Titel: Mein Name ist Eugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Schädelin
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serviert bekommen, und zweitens erspare ich mir und anderen gerne die gehabten Leiden. Da sagte unser Führer in einem fort, wir sollen doch die Frühlingspracht bewundern. — Wie soll man bewundern, wenn der Vorderste ein Tempo einschlägt, welches das Feld sprengt, wenn jede dritte Minute einer zurückbleibt mit einem Nagel, einer ausgehängten Kette, einem schiefgerutschten Rucksack; wie soll man den Frühling bewundern mit einem wunden Hinterteil und einem spriessenden Eiss? — Und was hat man zum Beispiel von der schönsten Landschaft, wenn man vorne, seitlich und hinten Gepäck geladen hat und sich vorkommt wie ein Speditionsbeamter, und wenn einem der Fritzli, jener Fritzli, den wir Frieda nennen, seinen Rucksack zu allem anderen noch aufbürdet, weil er mit seiner Fünfundzwanziglitersirupflasche genug zu schaffen und zu schonen hat?
    Ja, dieser Sirup!
    Der Frieda kennt sich nämlich beim Herrn Stucker & Zesiger aus, welcher Kolonialwaren engros verkauft. Dem schrieb der Frieda ein schönes Gedicht von unserem Lager, und nach einer Strophe lautete der Refrain: «Sirup, Sirup, Sirup.» Sieben Strophen lang winkte er dem Herrn Stucker & Zesiger mit dem Holzflegel, und das Resultat war eine 25-Liter-Flasche, nicht vom besten, aber immerhin Sirup. Das war im tropischen Klima ein wesentlicher Vorteil, drum beugten wir uns, dem Frieda abwechslungsweise den Rucksack abzunehmen. Rund um diese Flasche war während der Fahrt stets ein Hohlraum. Kam man in seine Nähe, so rief er: Obacht, der Sirup.
    Wie will man das Frühjahr gemessen auf einer solchen Fahrt?
    Wir waren darum sehr froh, als wir in Erstfeld bis auf die andere Seite vom Gotthard einladen durften.
    Es herrscht eine weitverbreitete Meinung, jede Eisenbahnfahrt, besonders wenn sie durch den Gotthard gehe, sei ein Genuss. — Das ist übertrieben, denn sie fing gar nicht gut an.

    Schon nach fünf Minuten Fahrt kam irgendeiner auf die glorreiche Idee, den leeren Duvetanzug als ein Segel zum Fenster hinauszuhalten, und wir packten alle die unsrigen aus. Kaum aber hielt ich den meinigen vors Fenster, blähte er sich und hätte mich zum Abteil hinausgerissen, wenn ich nicht die Geistesgegenwart besessen hätte, ihn fahren zu lassen. Weil auch sieben andere die gleiche Geistesgegenwart aufbrachten, froren wir ob dem empfindlichen Duvetmangel hernach im Tessin beträchtlich, und nur die Bewohner des Kantons Uri hatten von der Idee einen Vorteil.
    Dann aber kamen die Kehrtunnels bei Wassen. Der Führer versammelte uns um sich und erklärte uns das System und sagte, wenn man wolle, könne man den Beweis erbringen, dass der Tunnel im Kreis herumführe: Man brauche nur einen schweren Gegenstand an einer langen Schnur an der Decke aufzuhängen und ihn pendeln zu lassen, dann pendle es immer in der gleichen Richtung, während sich der Zug darunter drehe. Wir sollten es ruhig probieren, und sogleich zog er seinen Bergschuh aus. Der wurde sachgemäss aufgehängt, und alle standen oder sassen im Kreis darum, bis der Kehrtunnel kam.
    Kaum waren wir drin, erlosch das Licht.
    Einer hatte dem Schuh eben noch einen Stoss gegeben, und nun ging in der Dunkelheit der Tanz los: Ich bekam ihn, den Schuh, in die Magengrube und schleuderte ihn weiter, und unter gewaltigem Geschrei flog er an Schienbeine und an Köpfe, und es war, als hingen Dutzende von Schuhen an Dutzenden von Schnüren.
    Eben hatte ich ihn wieder vaterländisch von mir gestossen, als auf der anderen Seite der sattsam bekannte Ton von springendem Glas erklang.
    Totenstille.
    Nur noch ein leises Stöhnen und ein schleimiges Plätschern tönte aus jener Ecke, wo wir den Frieda wussten, der still abseits geblieben war, um auf seinem Schoss die Flasche zu hüten.
    «Die Frieda läuft aus!» scholl es von drüben, und ein deutliches Himbeeraroma bestätigte diese Behauptung.
    Wer noch nie in einem Drittklassabteil der Bundesbahn 25 Liter Sirup verschüttet hat, hat kein Recht zu behaupten, eine Gotthardfahrt sei schön. Das ist wirklich gar nicht schön, nach dem Tunnel bei Tageslicht einen Knaben an einer Sauce zu finden. In der Hand hielt er noch den Hals mit dem Zapfen, aber vom Kinn an abwärts war der Frieda schleimig und oben weinerlich.
    Wie reinigt man einen Knaben von so viel Himbeersirup? Ohne dass es die Bundesbahnen merken? Wie heilt man den Schaden auf Bänken, Lehnen, Fenstern und am Boden? — Ich weiss nur noch, dass wir ihn nach vielem Bemühen zwar nicht weggebracht, aber doch überall gerecht

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