Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
oft wollen Sie die wiederholen?“
„David, so funktioniert Unterricht.“
„Aber warum stellen Sie dauernd Fragen? Erklären Sie doch einfach, was es zu wissen gilt?“
„Mit Fragen kann man prüfen, ob die Schüler etwas dazugelernt haben.“
„Aber wie erkennen Sie, dass man etwas dazugelernt hat, wenn man einfach nur die zwei Wörter wiederholen muss?“
„David, wir müssen weiterarbeiten. Das führt zu weit.“
„Ok. Aber warum stellen Sie überhaupt Fragen, deren Antworten Sie schon kennen? Ist das nicht langweilig und etwas einfältig?“
„David halte dich zurück und werde nicht frech.“
Lesen und Schreiben konnte ich bereits durch privaten Vorschulunterricht und die anderen Fächer erschienen mir banal. Zwei Jahre lang vor meiner Einschulung hatte mich eine Hauslehrerin gequält, und mir Lesen und Schreiben beigebracht. Stundenlang hatte ich neben dieser alten Dame im Salon gesessen und den ekelhaften Duft ihres Haarsprays eingeatmet, der ihrer grauen Föhnfrisur entstieg. Während sie schrieb bemerkte ich die braunen Flecken auf ihren Handrücken und ich wunderte mich, dass diese reinlich wirkende Frau ihre Hände nicht wusch. Auch Tage später hatte sie ihre Hände offensichtlich nicht gewaschen, da die Flecken unverändert meine Gedanken fesselten. Unter dem Tisch streckte sie ihre massiven Beine aus. Diese waren in Strümpfe gehüllt, die nicht weit genug nach oben gezogen waren. DieStrumpfansätze lagen offen und wurden von der Kante des zu kurzen Rocks nicht verdeckt.
Erst Jahre später wurde mir klar, dass ihre bräunlichen Flecken nichts mit mangelnder Hygiene zu tun hatten und welchen Zweck die Stützstrümpfe erfüllten. Den Grund, weshalb man dennoch seine Strumpfansätze unbedeckt ließ, konnte ich dennoch nicht finden.
Auch wenn alle Blumen gepflückt sind und man ausgezehrt und bewegungsunfähig die Kontrolle über Stuhl und Urin aufgeben muss, hat keiner das Recht, an unserer Würde zu rühren. Da dieses Ideal nicht aus der Praxis, sondern aus der Theorie abgeleitet ist, müssen wir bis zum Ende unserer Tage auf uns selbst achten, um dem Pflegepersonal wenigstens ein kleines Stück Respekt abzunötigen. Diese Achtsamkeit beginnt mit dem korrekten Tragen von Stützstrümpfen. Man kann in Würde Leben, allerdings nicht in Würde sterben. Der Tod ist und wird immer eklig und grausam sein. Grausam und eklig war auch ihr Tod. Ihre letzten Jahre hatte sie in einem Seniorenheim damit zugebracht, sich über Krankheiten zu unterhalten, bis sie schließlich selbst nach kurzer schwerer Krankheit in ein kühles Grab gebettet wurde.
Während der zwei Jahre Hausunterricht verbrachte ich mehr Zeit in den Gemeinschaftsräumen, als in den ganzen Jahren die folgten. Mein Leben spielte sich vor allem in meinem Zimmer ab. Neben einem französischen Metallbett mit Bettbezügen aus den 1960er Jahren stand der ausgediente Eichenholzschreibtisch meines Vaters, den er durch ein antikes Stück, aus der Geschäftsauflösung eines privaten Schifffahrtsmuseums, ersetzt hatte. Sein Schreibtisch verlieh seinem Arbeitszimmer das Flair des spanischen Imperialismus, und er erzählte jedem, den es interessierte oder nicht, wie sündhaft teuer das antike Unikat gewesen sei. Rechts neben dem Schreibtisch befanden sich ein billiger Kleiderschrank und ein barocker Ohrensessel.
„Mama. Ich würde gerne in meinem Zimmer ein paar Poster aufhängen.“
„Poster? Wo hast du die denn her?“
„In der Schule durften wir die mitnehmen.“
„David. Bring uns solchen Mist nicht mit nach Hause. Wasman geschenkt kriegt, ist nichts wert.“
„Aber da ist ja nichts schlimmes darauf abgebildet. Nur ein paar Tiere.“
„Warum denn Tiere? Dein Zimmer ist doch kein Zoo. Andere würden sich freuen, wenn sie solche hübsche handgemalte Bilder an der Wand hängen hätten, aber du weißt nicht mal das zu schätzen. Was soll ich bloß mit dir machen. Du machst mir Kummer David.“
„Tut mir leid Mama.“
An meiner Wand hing eine Sammlung abstrakter Gemälde, die mein Großvater mütterlicherseits gemalt hatte. Bereits damals war mir klar, dass der Begriff Abstraktion immer genau dann verwendet wird, wenn Dinge aufgrund ihrer Trockenheit zwar keine Emotionen wecken, aber dennoch etwas Besonderes sein sollen. Natürlich hingen bei mir nur die weniger ansehnlichen Kunstwerke meines Großvaters. Die Werke, die man für wichtiger hielt, schmückten die Wände im Wohnzimmer. Wirklich gelebt hat in diesem leblosen Raum
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