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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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wollten, wohnte außerhalb der Stadt, und für den Weg hin und zurück brauchten wir fast einen ganzen Tag, aber es gab keinen einzigen Moment, in dem ich mich in der Lage sah, diese ebenso wichtige wie heikle Angelegenheit anzusprechen. Der Rabbi empfing uns mit einem Mahl, bei dem auch seine Frau und Tochter zugegen waren, dann kehrten wir noch am Abend nach Tiberias zurück. Nichts Wichtiges wurde bei dem Besuch besprochen. Das Gespräch war nicht recht in Gang gekommen; wir hatten diese Leute zum ersten Mal getroffen und nicht viel mit ihnen gemeinsam.
    Der Rabbi atmete laut, hatte feiste, feuchte Wangen und erkundigte sich nach meinen Studien. Als ich ihm antwortete, brach ich meinen Vorsatz, nicht »anzugeben«. Doch statt es geschmacklos zu finden, wie ich mit meinen Sprachkenntnissen prahlte, schienen der Rabbi und mehr noch mein Vater hochzufrieden zu sein. Die Frau machte beständig den Eindruck, als quäle sie der Gedanke, etwas vergessen zu haben – den Namen meines Vaters oder den Grund unseres Besuchs – und jeden Moment ertappt zu werden. Die Tochter, eine hübsche junge Frau, die etwas abseits saß und sich Luft zufächelte, schien ein freundliches Wesen zu besitzen, was aber nichts daran änderte, dass ihr momentan schrecklich langweilig war und sie lieber woanders gewesen wäre.
    Als wir in Tiberias zurück waren, ließ mein Vater einen Diener eine Kleinigkeit zu essen und einen Krug Wein bringen. Wir setzten uns, und dann fragte er, wie mir die junge Frau gefallen habe. Erschrocken sagte ich, ich hätte nicht genug von ihr gesehen oder gehört, um sagen zu können, ob sie mir gefalle oder nicht.
    Er fragte, ob ich sie denn nicht anziehend gefunden hätte.
    Ich erwiderte, sie habe gesund und nett ausgesehen, aber kaum etwas gesagt.
    »Eine Ehefrau, die nicht viel sagt, ist ein wahrer Segen«, sagte er.
    Ich starrte ihn wütend und herausfordernd an. Er brach das Brot und mied meinen Blick. »Ihr werdet heiraten«, sagte er ausdruckslos. »Es ist bereits alles arrangiert. Ich habe ihren Stammbaum erkundet. Seit sechs Generationen entstammen ihrer Familie Tempelpriester.«
    Ich sagte nichts, und er fuhr fort: »Diese Ehe verschafft dir große Vorteile, vor allem in Jerusalem. Ganz zu schweigen von euren Kindern.«
    Ich sagte: »Vater, du weißt, dass du mich nicht dazu zwingen kannst.«
    Erst jetzt sah er mich an. »Doch, ich glaube, das kann ich.«
    »Dann herrscht Krieg zwischen uns.«
    Er lächelte müde und schenkte uns Wein ein. »Danke für die Warnung.«
    Ich beschloss, mich nicht auf ein Streitgespräch einzulassen. Eine Szene hätte mir nichts gebracht. Im Nachhinein war ich froh, dass ich nichts von Judith gesagt hatte. Die bloße Andeutung einer Freundschaft zwischen uns hätte ihn veranlasst, dafür zu sorgen, dass wir uns nie wiedersahen.
    Ich ging zu Bett, ohne ihm gute Nacht zu sagen, und war entschlossen, einen Weg zu finden, um diese Eheschließung zu verhindern. »Möge mein Vater von Banditen angegriffen werden«, sagte ich am Ende meines Gebets, und aus Furcht vor Strafe fügte ich hinzu: »Und möge er ihnen unverletzt, aber geläutert entkommen.«
    Es gab eine Möglichkeit, die ich nutzen konnte. Mein Vater hatte schon länger davon gesprochen, dass er einmal eine seiner Karawanen begleiten wolle. Er sagte, er müsse es bald tun, ehe er zu alt sei für die Strapazen der Berge und der Wüste. Bestimmte Aspekte seines Geschäfts konnte er nur beurteilen, wenn er sie aus erster Hand erfuhr – was für Leute es waren, mit denen er in der Ferne Handel trieb, ob seine Unterhändler die wahren Preise nannten und ihm einen fairen Anteil gaben, welchen Risiken Waren unterlagen, die man so weit durchs Land transportierte, und ob es andere Produkte aus unserer Region gab, die als Handelswaren interessant waren.
    Eine anstehende Karawane nach Damaskus sollte ihm Aufschluss über diese Fragen geben. Er sprach aber davon, noch weiter zu reisen, nach Galatien und vielleicht sogar darüber hinaus, nämlich über die Ägäis nach Athen. Er behauptete, es gehe ihm einzig und allein ums Geschäft, aber ich merkte, dass da noch andere Wünsche eine Rolle spielten: Er suchte die Gefahr, das Abenteuer, das Unbekannte. Zuvor hatte ich sein Vorhaben immer unterstützt, weil ich dachte, dass er noch im rechten Alter dafür war. Nun unterstützte ich es, um ihn für möglichst lange Zeit loszuwerden.
    Alles war bereits arrangiert. Er entschuldigte sich dafür, dass er mich mit diesem Heiratsansinnen

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