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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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handelten oder eine Gefahr für uns darstellten.
    Manchmal erkannte der eine oder andere von uns in der Menge aber auch Männer, die Herodes Antipas dienten. Wir vermuteten, dass sie als Spione entsandt worden waren, und Jesus achtete darauf, in ihrer Anwesenheit nichts zu sagen, was sie negativ über uns berichten konnten. Zwar enthielt seine Botschaft etwas Aufrührerisches, aber es war gut versteckt, und er rief nicht zum Ungehorsam gegen weltliche Herrscher auf. Als er von einem dieser Spione gefragt wurde, ob er die Steuern gerechtfertigt fand, die der Bevölkerung abverlangt wurden, antwortete er, man solle Cäsar geben, was Cäsar gebühre – und Gott, was Gott gebühre. Auf den ersten Blick schien es eine unterwürfige Antwort zu sein, aber je mehr man darüber nachdachte, desto zweideutiger war sie.
    Auch Nazareth mied er. Einmal, als der direkteste Weg zu dem Ort, den wir als Nächstes besuchen wollten, durch unser Heimatstädtchen führte, bestand er auf einen Umweg. Ich sprach ihn auf seine Familie an und fragte, ob wir sie denn nicht besuchen würden, aber seine Miene versteinerte, er schüttelte den Kopf und wandte sich von mir ab.
    »Und Andreas?«, hakte ich nach.
    Er drehte mir weiter den Rücken zu. »Die anderen sind bereits über unsere Route unterrichtet«, sagte er.
    Ich protestierte: »Aber ich habe eine Mutter in Nazareth.«
    Mit glühenden Augen drehte er sich zu mir um. »Und ich einen Vater im Himmel.«
    Ich verstand nicht, was er meinte. »Dann suche du den Himmel«, sagte ich. »Ich gehe solange nach Nazareth.«
    Ich ging tatsächlich und blieb zwei Nächte bei meiner Mutter. Ich verbrachte viel Zeit in unserem Badehaus und ließ mich groß bekochen. Ich besuchte auch Andreas, der mir ebenfalls etwas zu essen vorsetzte, nicht ganz so opulent, aber reich an Zutaten und, wie er sagen würde, »nett angerichtet«.
    Ich bat ihn, über Jesu Fortbleiben nicht beleidigt zu sein. »Er kann Nazareth nicht verzeihen. Er sagt, er habe mit seinem Heimatort abgeschlossen und werde niemals zurückkehren.«
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Andreas. »Wir haben ihn nicht gut behandelt.« Er erzählte mir, einer von Jesu Brüdern verbreitete die Ansicht, Jesus habe den Verstand verloren und gehöre eingesperrt. »Manchmal höre ich Leute von seinen Predigten berichten«, sagte Andreas. »Und dass er Kranke heilt.« Seinem Ton nach zu urteilen, war er nicht besonders glücklich darüber.
    Ich bedauerte, dass Andreas nie selbst eine der großen Predigten gehört hatte, bei denen Jesus zu Hochform auflief.
    »Ich höre auch von …« Andreas zögerte, ehe er es in fragendem Ton herausbrachte: »… von Wundern?«
    »Du meinst, wenn er Kranke heilt?«
    Er fragte, ob ich schon einmal selbst dabei gewesen sei.
    »Ich denke schon.«
    »Blinde können wieder sehen? Lahme gehen?«
    Ich erklärte ihm, dass es sich dabei eher um Metaphern handle. Er solle das nicht allzu wörtlich nehmen.
    »Aber die Heilungen gibt es doch?«
    Ich zuckte mit den Schultern und sagte, es kursierten viele Übertreibungen und Missverständnisse.
    »Dann gibt es also keine Wunder«, beharrte er.
    »Viele sagen, sie hätten sie erlebt.«
    »Aber du hast noch keins mit eigenen Augen gesehen?«
    Ich sagte, ich hätte Menschen gesehen, die von Krankheiten genesen waren. Und einen Besessenen, der völlig außer Kontrolle war und von Jesus auf wunderbare Weise zur Ruhe gebracht wurde. Aber ich musste zugeben, dass ich nichts gesehen hatte, was man im eigentlichen Sinne als ein Wunder bezeichnen könne. Nicht eindeutig. Noch nicht. »Die Zeit wird kommen«, sagte ich.
    Er seufzte und tätschelte mir den Arm. »Ja, wahrscheinlich.«
    Als ich nach Kapernaum zurückkehrte, waren die anderen in heller Aufregung. Etwas war geschehen – »ein Wunder« (beziehungsweise »schon wieder ein Wunder«). Doch jeder Bericht, den ich dann darüber hörte, wich von den anderen ab. Ein Mann aus dem Dorf – es handelte sich um ein Fischerdorf – war ganz plötzlich von einer Lähmung befallen worden. Den einen Tag war er noch stark und gesund, am nächsten zitterten seine Hände unkontrollierbar, seine Kräfte ließen nach, und sein Körper zuckte nur, wenn er sich aufzurichten versuchte.
    Es war Zebedäus, der Vater von Johannes und Jakobus, der als Erster laut aussprach, was wohl alle dachten: »Jesus wird ihn heilen.« Doch dann kamen ihnen Zweifel, denn Jesus reagierte verärgert auf die Vorstellung, man könne jederzeit und überall Kranke

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