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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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immer erstaunlicher, obwohl niemand laut darüber sprach. Jesus habe die drei auf den Gipfel geführt und sie gebeten, Wache zu halten, während er betete. Dann habe er lange in dem scharfen Wind gekniet, der auf Bergen wie diesem kraftvoll von unten nach oben zu wehen schien. So weit glichen sich die verschiedenen Versionen. Allen gemeinsam war auch, dass die drei sich im Schutz eines Dornbusches zusammenkauerten, gegen Hunger und Erschöpfung ankämpften, während es langsam dunkel wurde, bis sie schließlich einschliefen. Später seien sie jedoch wieder aufgewacht – mit dem Gefühl, etwas Außerordentliches sei im Gange, eine Offenbarung, das Wirken einer göttlichen Kraft.
    Im detailliertesten Bericht war die Rede davon, Petrus habe gesehen, wie der zerrissene und beschmutzte Burnus von Jesus sich verwandelte, als Jesus kniend betete – und zwar in ein leuchtend weißes Gewand. In dem Moment erschienen über Jesus zwei riesige Figuren. Petrus habe gewusst, dass es sich um Mose und Elia handelte, obwohl er nicht sagen konnte, woher er das wusste. Die beiden hätten etwas zu Jesus gesagt, und er habe ihnen geantwortet.
    Jakobus habe nichts gesehen, aber eine gewaltige Stimme gehört, die im Dunkeln sagte: »Das ist mein auserwählter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören.«
    Johannes habe unruhig geschlafen und könne sich an nichts erinnern, außer dass er das merkwürdige Gefühl gehabt habe, etwas Gewaltiges, Erschütterndes sei geschehen. Noch nie habe er etwas Ähnliches erlebt. Nach dem, was Petrus gesehen und Jakobus gehört habe, sei auch er davon überzeugt, dass Jesus sie in die Gegenwart Gottes geführt habe.
    Nun waren es also drei, die wussten oder zu wissen glaubten, dass wir im Dienste des Messias standen.
    Im arabischen Märchen
    kommt der Held
    mit einem Schwert,
    um den strengen
    Vater abzuwehren. Dann
    entführt er sie
    auf einem weißen
    Pferd. Jesus kommt
    zu Fuß. Bewaffnet
    nur mit Worten
    und einem Finger,
    schreibend im Staub.
    Dachte er noch an
    unser Stück, an die
    Macht des Worts,
    das nur Einer
    verstand? War sein
    Text Griechisch
    oder, wie Maria
    Magdalena glaubte, die
    Sprache des Himmels?

Kapitel 13
    Vorgestern kamen Nachrichten aus Jerusalem. Drei Anhänger der Jesussekte, zwei Männer und eine Frau, suchten Ptolemäus auf, und ich war zugegen, als sie ihm die Neuigkeiten überbrachten. Bei der Gelegenheit wurde mir noch etwas anderes klar. Ich hatte mich schon gefragt, warum Ptolemäus mir so bekannt vorkam, sowohl was sein Äußeres betraf als auch – mehr noch – seine Stimme. Die Besucher begegneten ihm mit so großem Respekt, dass ich einen beiseitenahm, den älteren der beiden Männer, Esra, und ihn fragte, ob mein Gast schon lange der Bewegung angehöre.
    Ich bekam zur Antwort, er sei einer der wichtigsten Menschen, die heute noch lebten.
    Ich muss dann wohl ein so irritiertes Gesicht gemacht haben, dass Esra unwillkürlich zu einer Erklärung ansetzte.
    »Ptolemäus ist so wichtig, weil …« Esra unterbrach sich und fixierte mich mit einem Blick (den ich zur Genüge kannte), als müsse er ein Geheimnis wahren, das er nur zu gern preisgeben würde. »Tut mir leid. Das darf ich nicht sagen.«
    »Weil er Jesus kannte?« Dieser Gedanke war mir bereits ein, zwei Mal gekommen, wenn er von Dingen sprach, die nur jemand wissen konnte, der damals dabei war.
    Esra senkte den Kopf, eine unmissverständliche Bestätigung. Die Gottesnähe, die Ptolemäus für ihn verkörperte, schien ihn zu überwältigen.
    »Aber da ist noch etwas«, forderte ich ihn weiter heraus.
    Wieder nickte er, sagte aber zugleich: »Ich darf nicht darüber sprechen.«
    Das war auch nicht nötig. Ich konnte es mir schon denken. »Er war einer der zwölf«, flüsterte ich.
    Der Mann verzog das Gesicht, und Tränen schossen ihm in die Augen.
    »Das Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben«, versicherte ich ihm. »Ich verrate nichts und frage auch nicht nach seinem Namen.«
    Ich kannte ihn. Es war Bartolomäus. Seine Blindheit und die äußerlichen Veränderungen von vierzig Jahren hatten mich ihn nicht erkennen lassen. Zugleich hatte seine Blindheit verhindert, dass er mich erkannte. Sie bot mir also Schutz. Darüber hinaus glaubte er zu wissen, dass Judas Iskariot tot war, sich an einem Feigenbaum erhängt hatte oder auf einem Acker, den er vom Lohn für seinen Verrat gekauft hatte, von Pflugscharen zerstückelt worden war. Sonst hätte er mich vielleicht an meiner Stimme erkannt, denn Blinde entwickeln ja ein

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