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Mein Name war Judas

Mein Name war Judas

Titel: Mein Name war Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. K. Stead
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Dienerschaft, nicht wahr? Wie geht es deiner Mutter? Und deinem Vater? Ist er schon aus Tiberias zurückgekehrt?«
    Ich brauchte keine dieser Fragen zu beantworten, denn kaum war eine ausgesprochen, folgte schon die nächste. Wenn sie damit fertig war, ging sie unverzüglich dazu über, von Jesus zu erzählen, ihrem »kleinen Ilui « (das Wort hatte sie von Andreas aufgeschnappt), ihrem glorreichen Erstgeborenen, dem Wunderkind. Was er an diesem Morgen alles getan hatte, was er gestern Abend gesagt hatte, was er für seine jüngeren Brüder gebastelt hatte.
    Als wir uns noch nicht so gut kannten, wurde Jesus immer rot, wenn sie von ihm schwärmte. Es war ihm sichtlich unangenehm. Später gab er sich keine Mühe mehr, seine Ungehaltenheit zu verbergen. »Hör auf, Mutter!«, sagte er dann, aber sie schien ihn nicht zu hören. Sie lebte in ihrer eigenen Welt und gab zwar Äußerungen von sich, konnte die von anderen aber nicht aufnehmen. Als Kind war sie mir unheimlich. Erst viel später, als Jesus längst ein berühmter Prediger und Prophet war und gnadenlos all ihre Bemühungen um Nähe abwies und sich weigerte, ihre Liebe und ihren Rat anzunehmen, tat sie mir leid. Als Jesus in Jerusalem starb, war sie weit weg, in Nazareth, bei ihrer Familie.
    Einmal, es muss wohl in unserem zweiten Schuljahr bei Andreas gewesen sein, lasen wir zusammen mit Thaddäus die Geschichte von der Geburt Mose – die Passagen im Buch Exodus, in denen geschildert wird, dass sich die Juden schneller vermehrten als die Ägypter, worauf der Pharao beschloss, den Juden das Leben schwer zu machen, um sie zu schwächen. Damit hatte er aber keinen Erfolg, die Zahl der Juden stieg weiter, und der Pharao ordnete an, alle ihre männlichen Neugeborenen zu töten. Um ihrem Kind dieses Schicksal zu ersparen, setzte die Mutter von Mose den Kleinen in einem Weidenkörbchen im Schilf des Nils aus, wo die Tochter des Pharaos ihn fand und mitnahm, um ihn dann wie ihr eigenes Kind aufzuziehen.
    Uns gefiel die Geschichte von dem geretteten Kind, das später der Stammvater unseres Volkes werden sollte, aber Jesus reagierte besonders stark darauf. Als ich ihn das nächste Mal besuchte und seine Mutter wieder diese konfuse Rede über ihren glorreichen Erstgeborenen hielt, bezeichnete sie ihn als ihren »kleinen Moses«. Ich war verwundert, und als ich mit Jesus allein war, fragte ich ihn, wie sie das gemeint habe. Er zuckte mit den Schultern und sagte, das wisse er nicht, wahrscheinlich habe sie sich gar nichts dabei gedacht. »Du kennst sie ja«, sagte er. »Sie redet und redet, und man weiß nicht, wovon.« Aber ich glaube, er wusste sehr wohl, warum sie das gesagt hatte, und wollte es bloß nicht zugeben.
    Viele Jahre später fiel mir diese Episode wieder ein, genauer gesagt gegen Ende unserer gemeinsamen Zeit, kurz vor Jesu triumphalem Einzug in Jerusalem. Damals zeichneten sich unter uns zwölf erste Unstimmigkeiten ab (darauf komme ich noch zurück), und Jesus schürte sie noch, indem er dem Grundsatz »Teile und herrsche« folgte, unabsichtlich, wie ich meine, rein intuitiv, wie es oft seine Art war. Oft nahm er zwei oder drei von uns beiseite und vertraute ihnen Dinge an, die den anderen vorenthalten blieben. Das führte zu Neid und Eifersucht, und alle buhlten um seine Gunst. Inzwischen waren wir ihm alle hörig, jeder auf seine Art, und er spielte seine Macht aus, indem er uns mal einzeln, mal alle zusammen mit seiner Zuneigung beglückte. Er verstand es, einem das Gefühl zu geben, dass er einen liebte, und Gegenliebe hervorzurufen. Dann wieder verblüffte er uns mit seiner bestechenden Logik oder konfrontierte uns mit seiner Ungeduld, seinen Wutausbrüchen, seinen Tiraden und bisweilen auch mit der Drohung, er werde den einen oder anderen aus unserer Gemeinschaft ausschließen oder gar uns allen den Rücken kehren.
    Ich ließ mich von ihm nicht so stark einschüchtern wie die anderen, und selbst noch an seinen letzten Tagen, als er äußerst gereizt reagierte, wenn er seine Autorität infrage gestellt sah, war es mir gelegentlich möglich, ihn zu kritisieren. So sagte ich ihm einmal, als er Jakobus und Johannes – die Brüder, die er manchmal als »Söhne des Donners« bezeichnete – sowie Bartolomäus beiseitegenommen und sich mit ihnen allein beraten hatte, dass die Bevorzugung Einzelner negative Auswirkungen auf unsere Gemeinschaft hätte.
    Jesus hörte mich an, still, ernst und mit gesenktem Kopf. Als ich schneller als gewollt meine Rede

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