Mein Offizier und Gentleman
nachdenklich entlohnte er, vor seinem Haus angekommen, den Kutscher und ging hinein.
Lucy spürte die Blicke der Leute, als sie mit ihrer Schwester den Ballsaal betrat. Zwar hatte sie seit ihrem ersten Ball oft genug im Mittelpunkt gestanden, doch heute schien etwas anders zu sein. Schaute die eine oder andere ältere Dame sie nicht missbilligend an? Allerdings wusste sie nicht, womit sie das verdient hatte – es sei denn, man redete wegen des Duells.
Sie wurde jedoch sofort um einen Tanz gebeten, und bald war ihre Karte gefüllt. Nur drei Tänze ließ sie bewusst frei. Jedoch schienen sich weniger Herren als sonst um sie zu scharen. Mr. Lawrence und Mr. Markham fehlten selbstverständlich. Mr. Tristram war anwesend, warf ihr aber nur einen vorwurfsvollen Blick zu, ohne um einen Tanz zu bitten.
Nachdem sie schon einige Tänze absolviert hatte, kam Amy Robinson zu ihr, ihren verlegen dreinblickenden Bruder im Schlepptau. „Miss Horne, ich muss Sie um Verzeihung bitten. Ich hatte keine Ahnung, in was sich mein närrischer Bruder eingelassen hatte, sondern richtete Ihnen letztens die Nachricht in gutem Glauben aus.“
„Ja, das ist mir klar. Sie konnten nichts dafür.“
„Danke.“ Miss Robinson sah ihren Bruder durchdringend an. „Nun?“
Der junge Mann lief blutrot an. Offensichtlich hatte seine Schwester ihn gezwungen, mit ihr zu kommen. Zutiefst verlegen stammelte er endlich: „Miss Horne, es tut mir so leid, dass ich an dieser Sache beteiligt war. Ich fand den Plan sowieso nicht gut, aber ich hätte die andern davon abbringen müssen. Tut mir wirklich leid. Ich wollte Ihnen nichts Böses. Das Gerede muss Sie sehr betroffen machen.“
„Was können Sie nur meinen? Ich habe nichts gehört“, entgegnete Lucy erstaunt.
Amy schaute ihren Bruder vorwurfsvoll an, sagte aber dann: „Es wird gesagt, Lord Harcourt halte sich wegen dieser Geschichte zurück.“
„Oh, ich verstehe“, murmelte Lucy errötend. „Das ist natürlich Unsinn. Warum sollte man überhaupt glauben, dass er …“ Als sie Amys irritierten Blick bemerkte, brach sie ab und wandte sich um. Sie schluckte krampfhaft, denn hinter ihr stand Lord Harcourt. „Oh, Lord Harcourt … guten Abend.“
„Meine liebe Miss Lucy“, sagte Jack, „der nächste Tanz ist ein Walzer – hatten Sie den nicht mir geschenkt?“
„Nun, ja …“ Sie hatte ja tatsächlich diesen und noch zwei weitere Tänze für ihn reserviert. „Ja, Sir, so ist es.“ Ihm die Hand reichend, fügte sie hinzu: „Danke, Sir.“
„Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite.“ Er lächelte warm. „Schon die ganze Zeit warte ich darauf.“
Als er ihr die Hand um die Taille legte, erschauerte sie sehnsuchtsvoll, denn sein Blick sagte ihr, dass seine Worte nicht nur ein Kompliment waren und er ernste Gefühle für sie hegte. Plötzlich kam es ihr vor, als schwebte sie auf den Wolken.
„Sie haben mir gefehlt“, sagte sie, zu ihm aufsehend. „Drew sagte, Sie hätten dringende Geschäfte gehabt, Sir?“
„Bitte, nicht ‚Sir‘ – außer ich hätte Ihr Missfallen erregt. Hatten wir uns nicht auf Harcourt geeinigt? Und vielleicht möchten Sie mich bald Jack nennen, wie meine engsten Freunde?“
„Bin ich eine enge Freundin, Harcourt?“ Lucy begegnete seinem fordernden Blick.
„Ich glaube, Sie wissen, was ich meine, Miss Schabernack“, sagte Jack neckend. „Doch der Tanzboden ist nicht der rechte Ort, meinen Emp fi ndungen Ausdruck zu geben – darf ich wohl morgen bei Ihnen vorsprechen?“
„Um mit mir auszufahren?“
„Nun, wenn Sie wünschen, auch das. Sie sind ein freches Kätzchen, Lucy. Es geschieht mir ganz recht, da ich Sie für so jung und arglos befand. Ich sehe, dass Sie keineswegs ein Kind sind.“
Lucy hob die Brauen, sprang auf den Köder jedoch nicht an, sondern schwieg. Da er sie so oft geneckt hatte, würde sie nun ihn ein wenig zappeln lassen. Schließlich sagte sie: „Ach, ich fahre zu gerne aus. Ich freue mich schon jetzt darauf.“
Jack lachte leise – geschickt hatte sie den Spieß umgedreht und ihm die Zügel aus der Hand genommen. Das amüsierte ihn, denn bisher hatte ihn keine Frau fesseln können – nie hatte er sich so sehr danach verzehrt, eine Frau zu küssen und eins mit ihr zu werden. Leidenschaft, Lust, Zuneigung kannte er, doch nun dämmerte ihm, dass Liebe etwa völlig anderes war.
Nachdem er sie nach dem Tanz zu ihrer Schwester zurückgebracht hatte, blieb er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit im Ballsaal und ließ
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