Mein Offizier und Gentleman
kein Auge von Lucy während sie mit ihren anderen Partnern tanzte. Nach dem zweiten Walzer, den sie ihm gewährte, führte er sie zu Tisch und umsorgte sie für jeden sichtbar. Auch der dritte Tanz, den er mit ihr absolvierte, war ein Walzer, und als der Ball endete, musste jedem klar sein, dass er um sie warb, was allerdings einer bestimmten Dame nicht ge fi el, die selbst einen Antrag von ihm erhofft hatte.
Als Lucy ihren Umhang holen wollte, wurde sie von Lady West angehalten. Da die junge Witwe eine gute Bekannte Mariannes war, schenkte sie ihr ein freundliches Lächeln, das ihr jedoch verging, als sie die feindselige Miene der Dame bemerkte.
„Ich hörte, Miss Horne, Sie werden Lord Harcourt heiraten“, sagte Lady West kalt. „Ich rate Ihnen, das eingehend zu überdenken. Ich weiß nicht, ob man Ihnen die Sache mit seinem Bastard zutrug. Vielleicht meinen Sie, es sei nur Gerede, doch ich kann Ihnen versichern, es stimmt. Er unterhält das Kind und auch die Mutter … zu der er eine feste Verbindung p fl egt.“
„Wie bitte?“, fragte Lucy bestürzt, sowohl wegen der Aussage, als auch wegen des gehässigen Tones. „Dies ist kaum der Ort, ein solches Thema anzuschneiden.“
Dessen ungeachtet fuhr Lady West fort: „Ich war fast ein Jahr lang seine Mätresse, und er brach mit mir, weil ich von ihm verlangte, die andere aufzugeben … auch Ihnen wird es nicht anders ergehen, wenn erst der Liebesrausch verblasst. Seien Sie auf der Hut, Miss Horne, andernfalls wird Harcourt Ihnen das Herz brechen.“
Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zurück in den Saal. Bestürzt sah Lucy ihr nach. Natürlich hatte die Geschichte an sich sie nicht überrascht. Verstörend war der hässliche Ton, in dem sie ihr entgegengeschleudert wurde – und die Affäre mit Lord Harcourt, die Lady West gerade eingestanden hatte. Lucy war nicht naiv; sie wusste, dass solche Affären nicht ungewöhnlich waren, und verurteilte weder die Dame noch Harcourt deswegen. Allerdings fragte sie sich, ob er vielleicht verdientermaßen in dem Ruf stand, ein Lebemann zu sein.
Nach dem Zubettgehen lag Lucy noch lange grübelnd wach. Ihr Herz sagte ihr, dass Harcourt sie liebte und dass sie ihn liebte – doch reichte das zu einer glücklichen Ehe? Lucy glaubte vielmehr, zum dauerhaften Glück gehörte nicht nur leidenschaftliche Liebe, sondern auch Zuneigung und Respekt, sonst mochte das Band leicht reißen, wenn das erste Feuer erloschen war. Eingedenk des zarten Hinweises ihrer Mutter wollte sie sich ihre Antwort gut überlegen, und wenn sie ihr Jawort gab, würde sie, deren Rat folgend, um ein mehrmonatiges Verlöbnis bitten. Zu warten konnte nicht schaden, schließlich war sie erst achtzehn.
Am Morgen, nach einer unruhig verbrachten Nacht, kämpfte sie immer noch mit ihren Gefühlen. Sollte sie Jacks Antrag, den sie doch so sehr herbeisehnte, annehmen? Wie sehr sie sich wünschte, die rumorenden Zweifel zum Schweigen bringen zu können und ihm von ganzem Herzen zu vertrauen!
Mit Bedacht hatte sie ein neues Ausgehkostüm angelegt; dazu ein schickes, farblich passendes Hütchen auf die Locken gedrückt, schritt sie die Stufen hinab. Als sie jedoch Jacks Stimme unten in der Halle hörte, blieb ihr fast das Herz stehen. Beinahe wäre sie umgekehrt, dann bezwang sie ihr Ängste, hob energisch den Kopf und trat grüßend auf ihn zu.
Jack sah sie an. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Es hatte ihn wirklich erwischt! Sie war so lieblich und jung! Dass eine Frau derartige Emp fi ndungen in ihm wecken konnte, erfüllte ihn immer noch mit Unglauben. Das rasende Verlangen, das ihn durchströmte, wenn er ihren Duft einsog oder sie ihn berührte, überraschte ihn jedes Mal aufs Neue.
„Sie sind wunderschön, Lucy, wie stets.“
„Danke, Harcourt. Was für ein hübscher Morgen! Geradezu gemacht für eine Ausfahrt, nicht wahr?“
Jack wunderte sich; so distanziert hatte er sie noch nie erlebt. Er spürte, dass sie bedrückt war. „Ja, wirklich ein schöner Morgen“, stimmte er schließlich zu. Er hatte es nicht erwartet, doch sie schien tatsächlich ausfahren zu wollen. „Sind Sie so weit?“
„Ja, sicher, danke. Wir sind nur noch wenige Tage in der Stadt. So bald werde ich keine Gelegenheit mehr zum Kutschieren haben, es sei denn, ich begleitete Marianne und Drew zurück aufs Land nach Marlbeck Place.“
Jack zögerte mit der Antwort. Eigentlich hatte er an eben diesem Morgen Lucy um ihre Hand bitten wollen, doch nun war er sich
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