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Mein Offizier und Gentleman

Mein Offizier und Gentleman

Titel: Mein Offizier und Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: ANNE HERRIES
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noch ehe sich jemand im Haus regte. Voller Unrast stand sie auf, kleidete sich an und ging durch eine der hohen Fenstertüren ins Freie, um bei einem langen Spaziergang ihren Kopf zu klären. Energisch marschierte sie durch die Morgenfrische dem See entgegen. Am Ufer angekommen begann sie, einen trockenen Kanten Brot, den sie eingesteckt hatte, an die Schwäne und Enten zu verteilen. Hier am Rande des Wassers war es friedlich und ruhig, und Lucy war so versunken, dass ihr erst eine Weile später jemand am anderen Ufer auf fi el, der sie offensichtlich beobachtete. Dieses Mal war es ein Mann. Er trug Reithosen und Stiefel und ein dunkles, am Hals offenes Hemd. In der Hand hielt er eine Reitgerte. Zwar konnte Lucy sein Gesicht nicht erkennen, doch konnte es auf keinen Fall Jack sein. Wie einer der Landarbeiter wirkte er indessen auch nicht … sie hatte das Gefühl, er sei kein Engländer, warum, wusste sie selbst nicht.
    Langsam wandte sie sich ab. Auf dem Weg zurück zum Haus kam ihr Jack entgegen, zum Ausreiten gekleidet. Ihr schien, auch er hätte in der Nacht nicht so gut geschlafen.
    „Du bist schon auf, Lucy?“
    „Ja, hin und wieder mache ich gern in aller Frühe einen Spaziergang. Letzte Nacht war es so warm, deshalb genieße ich die frische Morgenluft.“
    „Auch heute soll es wieder heiß werden. Warst du am See?“
    „Ja, ich habe die Schwäne gefüttert. Es sind so majestätische Vögel.“
    „Lucy, der Verwalter sagt, er hat ein paar Welpen, und ich brauche einen Jagdhund.“ Er sah sie überlegend an. „Möchtest du mitkommen, einen aussuchen? Gleich heute Vormittag?“
    „Ja, gern.“ Unsicher lächelte sie zu ihm auf. „Ist es eine bestimmte Rasse?“
    „Nein, Mischlinge, die sind als Arbeitstiere oft tauglicher. Aber wenn du vielleicht einen Hund als Haustier möchtest, könnten wir dir einen Spaniel beschaffen.“
    „Ach, nein, ich möchte keinen Schoßhund. Die robusten Tiere sind mir lieber. Von Hal hörte ich, dass er einen Labrador erworben hat. Er sagt, die Rasse gebe es erst seit Kurzem hier bei uns, aber sie sollen für die Jagd gut geeignet sein und haben angeblich ein sehr sanftes Wesen.“
    „Du erstaunst mich wieder einmal.“ Jack lächelte rätselhaft. „Aber wir werden den Verwalter fragen, ob er einen solchen Hund hier im Umkreis beschaffen kann.“
    „Ach, hör nicht auf mich“, sagte Lucy verlegen. „Ich bin kein Fachmann auf dem Gebiet.“
    „Nun, aber du bist aufmerksam und hörst zu, nicht wahr? Als ich dich das erste Mal traf, wirktest du auf mich wie ein zarter Schmetterling, der von einer Gesellschaft zur anderen fl atterte, süß und verträumt – aber der Eindruck trügt. Du bist nicht ober fl ächlich und denkst viel nach. Leider grübelst du manchmal mehr als gut ist, Lucy.“ Er schlug ungeduldig mit der Reitgerte gegen seinen Stiefel. „Tut mir leid, ich muss los, aber in etwa einer Stunde können wir uns zum Verwalterhaus aufmachen.“
    „Ich werde fertig sein“, entgegnete Lucy. Was hatte Jack eben gemeint? Hatte er sie als ein kleines, dummes Ding gesehen, das er um den Finger wickeln konnte? Hatte er sie um ihre Hand gebeten, weil er glaubte, sein Junggesellenleben fortführen zu können, ohne dass sein naives Frauchen es bemerkte?
    Die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, schritt Jack zu den Ställen. Er hatte in den letzten Tagen eine ganz neue Lucy entdeckt. Verliebt hatte er sich gegen seinen Willen in das bezaubernde Bild, das sie der Öffentlichkeit bot, und hatte sich gefragt, ob ihm das genügen würde, wenn der Rausch der Leidenschaft ver fl ogen war. Doch je länger sie beisammen waren, desto mehr überraschte sie ihn. Entgegen seiner Erwartung war sie scharfsinnig und intelligent – was ihn erst recht entzückte. Er hatte geglaubt, sich in den Schlingen eines hübschen Kätzchens verfangen zu haben, nun wuchs sein Respekt vor ihr als Frau von Tag zu Tag. Seit sie hergekommen war, wirkte sie aufgeblüht und reifer geworden, doch vielleicht kam es daher, dass sie ihm hier ihr wahres Selbst zeigen konnte.
    Er liebte sie tief und innig, das war ihm inzwischen klar. Es ging hier nicht nur um Begierde – und er begehrte sie so sehr, dass er nachts wach lag und sich vorstellte, sie liege neben ihm und er könne sie in die Arme schließen – sondern er wollte sie jeden Tag um sich haben, sich an ihrem Lächeln erfreuen, ihr Lachen hören und ihre nachdenkliche Miene sehen. Nein, sie war keine Träumerin, sondern eine scharf beobachtende,

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