Mein Offizier und Gentleman
entgegnete Lucy lächelnd. Es machte ihr nichts aus, dass der Busche ein Auge auf sie haben sollte. Sie wusste, dass sie dieses Gespann beherrschte, denn trotz seiner lebhaften Natur war es gut eingefahren und verlässlich.
„Tut mir leid, dass ich Sie diesen Teufel Firethorne reiten ließ, Miss“, sagte Jeremiah, während er neben ihr auf den Bock kletterte. „Ich hätt’ was sagen sollen, aber ich hab’s mich nich‘ getraut.“
„Ich hoffe nur, dein Herr war nicht zu ärgerlich. Weißt du, gleich als ich merkte, wie widerspenstig der Hengst war, hätte ich zurückkommen müssen.“
„Schätze, Sie saßen ganz gut im Sattel, Miss“, lobte der Bursche, der sofort Lucys Charme erlegen war. „Seine Lordschaft war zwar böse, aber er is’ immer fair. Nur Mr. Brent verpasste mir eins und gab mir zur Strafe die ekligsten Arbeiten. Aber es hätt’ schlimmer sein können.“
„Nun, in Zukunft wirst du mir sagen, wenn ich ein schwieriges Tier wähle, nicht wahr?“, sagte Lucy und trieb die Pferde an. Dieses Mal würde sie nicht zu dem Witwenhaus fahren. Wenn Jack ein Geheimnis hatte, würde sie lernen müssen, damit zu leben. Auf jeden Fall hatte sie nicht vor, je wieder einen Bruch mit ihm zu riskieren.
10. KAPITEL
Lucy folgte dem Fahrweg durch den Park, doch da ihr die Umgebung noch fremd war, fand sie sich bald auf einer öffentlichen Straße wieder.
Fragend sah sie ihren Begleiter an. „Sag, Jeremiah, wo sind wir hier?“
„Keine Sorge, Miss“, sagte er fröhlich, „wenn Sie ein Stück hier entlangfahren, kommen wir durchs Dorf. An der Kirche rechts der Weg führt zurück auf das Land Seiner Lordschaft.“
Dankbar sah Lucy ihn an. „So hat es doch sein Gutes, dass du mich begleitest, sonst hätte ich anhalten und jemanden nach dem Weg fragen müssen.“
Ganz richtig erreichten sie auch bald das Dorf, das vorwiegend aus einer von Bauernkaten gesäumten Straße bestand. Es gab einen Bäcker und einen Gasthof, außerdem eine Schmiede, wo gerade ein Pferd beschlagen wurde. Am Ende des Dorfes stand die Kirche mit einem recht ansehnlichen Pfarrhaus, und unmittelbar dahinter kam die beschriebene Abzweigung, in die Lucy ihr Gefährt lenkte. Nachdem sie die Pferde eine Weile hatte traben lassen, tauchte ein Gehölz auf, wahrscheinlich das Wäldchen, das an den See grenzte. Sie musste also vom Herrenhaus kommend einen Kreis geschlagen haben. Gleich darauf erspähte sie weiter vorn den Witwensitz, den Rosa mit dem Knaben bewohnte.
Lucy verlangsamte die Fahrt, denn es war ihr unangenehm, dort vorbeizufahren. Eben wollte sie fragen, ob man es umfahren könne, als sie die Pferde grob zügeln musste, da unversehens vor dem Wagen zwei Hunde über die Straße sprangen, übermütig verfolgt von einem kleinen Jungen – ihm nach lief eine Frau, fi ng ihn ein und schloss ihn lachend in die Arme. Lucy kannte die Dame sehr gut, und beim Anblick dieser Szene wurde ihr die Kehle eng. Jäh erkannte sie die ganze Wahrheit und verstand nun, warum Jack sein Geheimnis so ängstlich hütete.
Entschlossen drückte sie ihrem Begleiter die Zügel in die Hand und kletterte vom Kutschsitz. Amelia – denn das war die Dame – hatte sie nämlich entdeckt und sah ihr erschreckt, mit bleichem Gesicht, entgegen.
„Jeremiah, führ die Pferde ein wenig herum“, befahl sie, „es wird eine Weile dauern.“
Gehorsam stieg der Junge ab und entfernte sich mit dem Gespann, während Amelia zu Lucy trat, die ihr beruhigend zulächelte.
„Lucy, was machen Sie hier?“, fragte Amelia, nachdem sie sich ein wenig gefasst hatte. „Dürfen Sie überhaupt schon wieder kutschieren?“
„Ich war ja nicht allein“, erklärte Lucy, „Was auch ganz gut war, da ich mich im Park verfuhr. Jeremiah führte mich über die Dorfstraße hierher.“ Sie ließ ihren Blick auf Amelia und dem Kind ruhen. Trotz des äußeren Unterschieds – der Knabe dunkel, Amelia der blonde Typus – ähnelten sich ihre Gesichtszüge doch ungemein, und nun wurde Lucy auch klar, warum sie geglaubt hatte, er sei Jacks Kind; alle drei trugen nämlich die Züge der Harcourts, wie sie sie auch auf den Familienporträts gesehen hatte. „Ich wusste nicht, dass der Weg hier entlang führen würde. Glauben Sie mir, Amelia, ich wollte Ihnen nicht nachspionieren. Ich werde Ihr Geheimnis bewahren, das verspreche ich. Niemand wird ein Wort von mir erfahren.“
„Mein Geheimnis …“ Amelia war kreidebleich. „Sie glauben nur, es zu kennen. Die Wahrheit können Sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher