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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Verabredung vor. Ich blinzelte dabei ein wenig mit dem linken Auge, gleichsam um anzudeuten, daß es Kavalierspflichten seien, derentwegen ich ihn verlassen müßte. Und er hatte auch volles Verständnis dafür, obwohl er es nicht unterlassen konnte, mich nachdrücklich zu warnen.
    »Vorsicht mit den Weibern, Hermann!« sagte er sehr ernst und legte mir die Hand kameradschaftlich auf die Schulter.
    Er streifte plötzlich seinen linken Jackenärmel auf, rollte die Manschette empor und zeigte mir eine talergroße Narbe auf seinem linken Unterarm. Es schien eine böse Verletzung gewesen zu sein. Das Fleisch hatte die Narbenränder rosig überwuchert.
    »Wo hast du denn die her?« fragte ich teilnahmsvoll.
    »Da stand einmal >Maria< drauf — eintätowiert.«
    »Na und?« fragte ich verständnislos.
    »Und dann war ich mit Senhorita Corinna, der >Pantherbraut<, verlobt. Die Geschichte passierte vor sechs Jahren. In Buenos Aires. Eigentlich hieß sie ja Friederike Bunzel und stammte aus Chemnitz, aber sie trat als Senhorita Corinna in unserem Zirkus mit sechs schwarzen Panthern auf. Eine erstklassige Nummer, da gibt es nichts daran zu tippen.«
    »Und da hat ein Panther...?«
    »Quatsch!« brummte Onkel Ferdinand, »sie selber biß mir das Stück Fleisch mit dem Namen Maria heraus. Aus purer Eifersucht. So sind nämlich die Weiber...«
    »Ich habe keine Pantherbraut«, sagte ich, um ihn über diesen Punkt zu beruhigen, »nicht einmal eine gewöhnliche Feld-, Wald- und Wiesenbraut. Vorläufig ist es nur eine ganz lockere Bekanntschaft, und ich glaube nicht, daß daraus etwas Ernsthaftes wird.« Ich verabschiedete mich von ihm, aber bevor ich ging, ermahnte ich ihn nochmals, an Murchison zu denken.
    »Die Sache wird geritzt«, nickte er mir zu. »Wann läßt du dich wieder bei mir sehen?«
    »Sobald ich mit meinem Pensum fertig bin. Und wo treffe ich dich, Onkel Ferdinand?«
    »Selbstverständlich hier im Büro!« antwortete er, als gedächte er allen Ernstes, so etwas wie einen Achtstundentag für sich einzuführen. »Aber auf alle Fälle kannst du auch einmal in den >Roten Ochsen< hereinschauen, wenn du mich hier zufällig nicht antreffen solltest.«

5

    Das Einwohnermeldeamt war um diese Stunde für den Publikumsverkehr geschlossen, aber ich hatte dort unter den Beamten einen Bekannten, der mit mir zusammen die Schulbank gedrückt hatte. Er ließ mich sofort vor und war mir gern behilflich, in der Kartei nach Fräulein Drost zu suchen. Dabei stellte sich heraus, daß Murchison über sie nicht schlecht unterrichtet war.
    Sie war tatsächlich vierundzwanzig Jahre alt und wohnte bei ihrer Tante Ottilie Wiskott in der Kalendergasse. Ich erfuhr aus dem grünen Karteiblatt noch einiges mehr, daß sie als Tochter des Diplom-Ingenieurs Walter Drost und seiner Ehefrau Dora, geb. Wiskott, im Jahre 1938 zu Danzig geboren wurde und im Jahre 1946 mit ihren Eltern im Hause ihrer Tante Unterkunft gefunden hatte. Zwei Jahre später schienen ihre Eltern eine eigene Wohnung gefunden zu haben, aber im Jahre 1956 — wahrscheinlich nach dem Tode ihrer Eltern — kehrte sie wieder in das Haus ihrer Tante zurück. Das Karteiblatt führte sie als Schülerin. Nach der Schulentlassung schien sie ihrer Tante in deren Handarbeitsgeschäft geholfen zu haben Zwei Jahre später hatte sie sich, wahrscheinlich von ihrer Tante finanziell unterstützt, selbständig gemacht. Die Kartei enthielt nämlich einen schematischen Plan des Hauses, das Frau Wiskott gehörte. Vor vier Jahren war der Laden geteilt worden, und Fräulein Drost hatte sich in der einen Hälfte eine Leihbibliothek eingerichtet.
    Das war mehr, als ich zu erfahren gehofft hatte. Und besonders die Leihbibliothek war ein fabelhafter Glücksfall. Was lag jetzt näher, als bei ihr Kunde zu werden? Ein anspruchsvoller Kunde natürlich, der beraten werden wollte und der im Laden gründlich herumstöberte, bevor er sich dazu entschloß, seine Wahl zu treffen. Ein paar Buchtitel fielen mir ein. Schon lange hatte ich die Romane von Lawrence Durell lesen wollen, und vor wenigen Tagen hatte mir ein Bekannter dringend die Lektüre von Mehnerts >Peking und Moskau< empfohlen. Und das langte zur Anknüpfung eines Gesprächs.
    Weshalb ich eigentlich die Vorstellung hatte, dieses Fräulein Drost müsse ein reizloses Geschöpf mit stangenartigen Beinen und roten Pusteln auf der Stirn sein, vermag ich nicht zu sagen.
    Da die Kalendergasse nicht allzuweit vom Einwohnermeldeamt entfernt lag, und da die

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