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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Fragen möchte ich annehmen, daß das Institut einen Querschnitt durch das Leben der jungen berufstätigen Frauen unserer Zeit ziehen möchte...« Ich zögerte einen Augenblick: »Damit möchte ich von vornherein um Vergebung bitten, wenn Ihnen die eine oder andere Frage indiskret erscheinen sollte. Es steht Ihnen selbstverständlich frei, zu antworten oder zu schweigen.«
    »Lieber Gott«, sagte sie ein wenig ängstlich, »weshalb sind Sie auch gerade zu mir gekommen?«
    »Das ist sehr einfach: ich habe die Kartei des Gewerbeamtes durchgeblättert und mir drei Dutzend Adressen notiert, darunter auch Ihre.«
    »Dann also, bitte!« sagte sie leicht verzagt und mit einem Ausdruck, als hätte sie soeben im Operationsstuhl eines Zahnarztes Platz genommen und erwartete im nächsten Augenblick das niederträchtige Geräusch des Bohrers zu hören.
    »Ihre persönlichen Daten kenne ich zu einem kleinen Teil«, sagte ich und blickte auf meinen Zettel, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. »Sie stammen aus Danzig...«
    »Ja«, antwortete sie leise, »mein Vater war dort Diplomingenieur. Nach der Flucht landeten wir hier bei meiner Tante. Ich habe nicht allzu viele Erinnerungen an Danzig. Meinem Vater gelang es bald, eine neue Stellung in einem Betrieb zu finden, der Druckereimaschinen produziert. Aber es war nicht sein Fachgebiet. Er war Schiffsbauingenieur. Es dauerte auch nicht allzulange, daß er ein Angebot aus Hamburg bekam. Er war so glücklich, als er die Stelle wirklich antreten durfte. Kurz darauf fuhr er mit Mama nach Hamburg. Sie wollten sich dort eine Wohnung suchen...«
    »Ich weiß«, unterbrach ich sie zart, »es muß ein furchtbarer Schlag für Sie gewesen sein.«
    »Ja, ich habe Jahre gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Und außerdem stand ich fast ohne Mittel da. Ich weiß nicht, wie es ohne Tante Otti mit mir weitergegangen wäre. Sie schickte mich auf die Handelsschule und nahm mich, als ich damit fertig war, in ihr Geschäft. Ich sollte es einmal übernehmen. Aber es lag mir nicht recht...«
    »Wie kamen Sie eigentlich darauf, sich eine Leihbibliothek einzurichten?«
    »Tante Otti hatte sich von einem Vertreter vor mehreren Jahren den Grundstock zu einer Leihbücherei auf schwatzen lassen, etwa hundertfünfzig Bände, die der Vertreter als eine fabelhafte Kapitalsanlage mit hundertprozentiger Verzinsung darzustellen verstand. Natürlich, war es ein hundertprozentiger Reinfall...«
    Ich kritzelte, um meiner Rolle -als Interviewer treu zu bleiben, ein paar Worte auf den Zettel.
    Fräulein Drost sah mich fragend an: »Interessiert Sie das überhaupt, was ich Ihnen erzähle?«
    »Nur weiter!« bat ich.
    »Also — eines Tages erstand ich auf einer Auktion ein paar Meter Literatur. Den kompletten Ganghofer, dreißig Bände Karl May, den Grafen von Monte Christo und mindestens hundert Krimis. Tante Otti hielt es für die reine Geldverschwendung, und sie war nahe daran, mich unter Kuratel zu stellen, als ich einen Teil des Schmuckes meiner Mutter verkaufte und den ganzen Erlös in Büchern anlegte...«
    »Wie kamen Sie darauf? Die Erfahrungen, die Ihre Tante mit Büchern gemacht hatte, waren doch nicht gerade ermutigend, nicht wahr?«
    »Ich wollte einfach selbständig werden, und Bücher waren eine alte Leidenschaft von mir. Kurz und gut, im Verlaufe eines Jahres hatte ich eine Bibliothek von mehr als tausend Bänden zusammengebracht, keine große, aber gängige Literatur. Genau das, was ältere Frauen gern lesen. Sie sind auch meine besten Kunden...«
    »Hut ab!« sagte ich mit einer entsprechenden Handbewegung und grinste ihr zu, »Sie scheinen eine recht geschäftstüchtige junge Dame zu sein.«
    »Das wird man ganz von selbst, wenn es sein muß«, antwortete sie mir ohne falsche Bescheidenheit.
    »Jedenfalls haben Sie erreicht, was Sie zu erreichen wünschten«, sagte ich. »Immerhin haben Sie aus einer gewissen Zwangslage heraus gehandelt. Sie sind jetzt mit Ihrem Beruf zufrieden, oder wären Sie gern etwas anderes geworden, wenn Sie sich frei hätten entscheiden können?«
    »Was soll ich Ihnen darauf antworten? Man muß das Leben nehmen, wie es kommt. Wahrscheinlich hätte ich, wenn meine Eltern damals nicht verunglückt wären, mein Abitur gemacht, wahrscheinlich hätte ich Germanistik oder Geschichte studiert, und wenn alles weiter nach meinen Wünschen gegangen wäre, wäre ich gern Bibliothekarin geworden. Die Bücher haben es mir nun einmal angetan.«
    »Sie scheinen es Ihnen wirklich

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