Mein Onkel Ferdinand
hatte. Und jetzt sprach sie auch wieder ohne Stockungen und Pausen: »Und daß Sie mir weismachen wollen, Sie hätten diesen Heiratsantrag vorausgesehen, das dürfte wohl eine reichlich kühne Behauptung sein!«
»Und ich halte den Schuft und alle meine sonstigen Bemerkungen aufrecht!« erwiderte ich mit starker Stimme. »Denn zufällig bin ich über Mister Murchison etwas besser informiert als Sie, mein Fräulein!«
»Was Sie nicht sagen!« meinte sie mit unverkennbarem Spott.
Nun war also der Zeitpunkt gekommen, wo ich Fräulein Drost meine Karten aufdecken mußte. Warum auch nicht?
Rücksichten auf Onkel Ferdinand und sein albernes Institut brauchte ich nicht zu nehmen. Nachdem Murchison seine verborgenen Pläne mit solcher Hartnäckigkeit und Zielsicherheit verfolgte, war es zweifellos meine Pflicht, Fräulein Drost alles zu erzählen.
»Also hören Sie«, sagte ich nach kurzem Besinnen, »ich habe einen Onkel — Onkel Ferdinand —, er ist ein Bruder meiner Mutter und er ist, wie man so zu sagen pflegt, leider ein versoffenes Genie, oder vielmehr, mehr versoffen als Genie. Jedenfalls ist er seit gut vierzig Jahren der Quell aller Familiensorgen und die Ursache dafür, daß alle Danckelmanns und Martins vorzeitig graue Haare bekommen, oder daß ihnen, wie im Falle meines Vaters, die Haare vorzeitig ausgehen...«
»Sie tun ja gerade so, als ob Sie sich für das Dasein Ihres Onkels Ferdinand entschuldigen müßten«, unterbrach mich Fräulein Drost ein wenig belustigt.
»Bei uns in der Familie ist das so. Wir haben alle seinetwegen ein schlechtes Gewissen.«
»Oh«, meinte sie, »ich glaube, solch ein schwarzes Schaf gibt es wohl in jeder Familie. Mein Vater — zum Beispiel — hatte einen Bruder, von dem überhaupt nicht gesprochen werden durfte. Er muß ein furchtbarer Taugenichts gewesen sein. Er war sogar in der Fremdenlegion und ist schließlich in Australien oder irgendwo in der Welt verdorben und gestorben.«
»Das ist Onkel Ferdinand leider nicht«, sagte ich und berichtete weiter. Und wenn es Fräulein Drost im Anfang auch völlig rätselhaft sein mochte, was Onkel Ferdinand mit Murchisons Heiratsantrag zu tun haben sollte, so schien meine Geschichte sie doch zu unterhalten, und sie unterbrach mich nicht, als ich ihr von Onkel Ferdinands neuerlichem Auftauchen, seiner Pumpaktion bei meinem Vater und von der Übernahme des »altrenommierten und grundsoliden Institut Greif< durch ihn berichtete.
»Und nun geben Sie gut acht, Fräulein Drost«, fuhr ich fort. »Der erste Klient, der das fabelhafte Unternehmen von Onkel Ferdinand mit unseren wunderbaren Klingelknöpfen, Telefonverbindungen und Büroräumen aufsuchte, war Mister Murchison! Und der Grund, warum er uns besuchte, war kein anderer, als daß er über Sie genaue Auskünfte haben wollte! Insbesondere schien ihn die Frage zu beunruhigen oder zu interessieren, ob sie etwa verlobt oder sonstwie an jemand gebunden seien!«
Fräulein Drost war meinem Bericht mit atemloser Aufmerksamkeit gefolgt.
»Das ist doch nicht möglich!« stammelte sie schließlich fassungslos und griff nach meinem Arm wie nach einem Halt, wenn die Straßenbahn allzu kühn in eine Kurve geht. Und sie sah mich an, als erwarte sie von mir, ich müßte ihr im nächsten Augenblick erklären, alles, was ich vorgebracht hatte, sei nur eine scherzhafte Erfindung von mir, um mich interessant zu machen.
»Es ist die reine Wahrheit!« sagte ich ruhig und hob die Schwurfinger. »Ich habe nicht die geringste Veranlassung, Ihnen Märchen zu erzählen. Ich selber war dabei, als Mister Murchison meinem Onkel Ferdinand den Auftrag gab, ihm in kürzester Frist einen ausführlichen Bericht über Sie zu liefern. Ihr Name, Ihr Geburtsdatum, der Name und der Beruf Ihres Vaters sowie einige andere persönliche Daten Ihres Lebens waren ihm bereits bekannt, als er uns besuchte. Er brauchte nur mehr Details.«
»Ich begreife das alles nicht...«, sagte sie tonlos.
»Ich auch nicht! Aber das ist eine andere Sache. Jedenfalls ließ ich mich von Onkel Ferdinand beschwatzen, vor Mister Murchison die Rolle eines Angestellten in seinem albernen Unternehmen zu spielen — und ich ließ mich weiterhin beschwatzen, diese Rolle auch praktisch durchzuführen. Nun, ich hatte ja Ferien, und damals erschien mir die ganze Angelegenheit als Zeitvertreib und als eine Art Bierulk... Jedenfalls machte ich mir weiter keine Gedanken darüber...«
»Dann war also...?« begann Fräulein Drost und sah mich an, als
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