Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
nächsten Vormittag schon wieder im Geschäft erschien. Und diesesmal merkte ich allerdings, daß sein Interesse nicht nur meinen Büchern galt...«
    »Und das wäre meiner Ansicht nach genau der richtige Zeitpunkt gewesen, um ihn hinauszuschmeißen!« sagte ich.
    »Das redet sich so leicht hin«, meinte Gertrud zögernd, »und vielleicht erschrickst du sogar und hältst mich für ein leichtfertiges Frauenzimmer, wenn ich dir sage, daß es für ein Geschäft durchaus nicht gleichgültig ist, ob eine knurrende Alte hinter der Ladenpudel steht oder...«
    »... ein so bezauberndes Geschöpf wie du!« vollendete ich mit einer ritterlichen Geste aus der Zeit des Minnesangs.
    »Mach mich bloß nicht eitel!« warnte sie mit einem kleinen tiefen Lachen, »aber ich möchte doch annehmen, daß du selber bei mir kaum Kunde geworden wärest, wenn du an meiner Stelle Tante Otti angetroffen hättest — so Hebens wert sie auch mit ihren siebenundsechzig Jahren sein mag.«
    Diesem Argument konnte ich nicht widersprechen.
    »Na, siehst du!« meinte Gertrud. »So habe ich schon eine ganze Reihe von Kunden gehabt, deren Interesse für Literatur bald erlahmte, wenn sie bemerken mußten, daß ich ihnen außer Büchern nichts zu bieten hatte. — Weshalb ich Murchison gestattete, mich nach Ladenschluß abzuholen, weiß ich selber nicht recht...«
    »Es wird die Bewunderung für sein Denken in anderen Dimensionen gewesen sein«, bemerkte ich und hoffte, sie würde mich wieder beißen, aber ich streckte den Daumen vergebens aus.
    »Vielleicht, weil er wirklich sehr zurückhaltend und nicht im mindesten aufdringlich war. Und weil er aus einer anderen Welt kam, die mir ein wenig bunter und anziehender erschien als mein kleines Leben. Er war sehr höflich, fast kühl, er wagte nicht den kleinsten Annäherungsversuch. Und dennoch spürte ich es bereits bei der ersten Verabredung und bei den späteren Begegnungen noch deutlicher...«
    »Was spürtest du?« fragte ich gespannt, als sie zögerte, um nach Worten zu suchen, um sich auszudrücken.
    »... daß in seinem Wesen irgendein unheimlicher Zwiespalt war. Daß etwas hinter ihm stand, was ihn vorantrieb und gleichzeitig unsicher machte. Ich kann es dir nicht erklären. Es war, als bewege er sich auf einem messerscharfen Grat zwischen zwei Abgründen. Einmal machte er eine sehr seltsame Bemerkung. Es war, als er mich nach der Aufführung im Fürstengarten heimbegleitete. Er war sehr schweigsam. Und um das Gespräch irgendwie in Gang zu bringen, denn seine Schweigsamkeit machte mich nervös, fragte ich ihn, wie es um seine Sache bestellt sei. Ich meinte natürlich den Prozeß, von dem er mir erzählt hatte. Es war ganz unmißverständlich. Er sah mich lange von der Seite an, und dann antwortete er mit einem ganz fremden Ausdruck in der Stimme: >Ich fürchte — schlecht. Ich habe mir die Geschichte bedeutend einfacher vorgestellt. Man sollte ein gröberes Gewissen haben... < .«
    »Das ist allerdings merkwürdig«, sagte ich nachdenklich. Wenn Gertrud als Frau gewiß auch ein schärferes Gehör für Unter- und Nebentöne besaß, so erschienen mir Dinge, die sich allein auf Tonschwingungen begründeten, doch zu vage und verschwommen, um uns auch nur einen Schritt an Murchisons Geheimnis näher heranzubringen. Als einziges Positivum schien festzustehen, daß seine Geschichte mit dem Mandanten in Kanada und dem Prozeß erlogen war.
    »Ja«, sagte Gertrud, »es berührte auch mich ganz eigenartig. Ich spürte deutlich, daß seine Worte sich auf ganz andere Dinge bezogen als jene, die ich meinte. Und seine dunklen Worte trafen mich so seltsam, als bekäme ich von irgendwoher die Warnung vor einer unbekannten Gefahr. Ich tat natürlich harmlos und fragte ihn, wie ich das zu verstehen hätte. Er riß sich zusammen, und seine Stimme bekam wieder den alten, ein wenig schleppenden Klang: »Ach, denken Sie nicht darüber nach! Ich rede manchmal dummes Zeug, wenn ich moralische Anwandlungen bekomme. Ich stamme aus einer sehr puritanischen Familie. Und unser Beruf zwingt uns zuweilen, Wege zu gehen, die nicht ganz schnurgerade sind. Das ist der Moment, in dem sich die drei oder vier Seelen in meiner Brust in die Haare geraten.«
    »Wann bist du ihm zuletzt begegnet?«
    »Heute vormittag. Er kam, um sich zu erkundigen, wie mir der Opernabend bekommen sei.«
    »Brachte er dir wenigstens ein paar Blümchen mit?« fragte ich giftig, denn irgendwie wurmte es mich doch, daß dieser Kerl Gertrud in den letzten

Weitere Kostenlose Bücher