Mein Onkel Ferdinand
ihren Laden betrat und mich ihr vorstellte, gut hätte leiden können, und daß sie auf mich täglich und stündlich gewartet habe, und daß sie die Verabredung mit Murchison nur eingegangen sei, um mich eifersüchtig und ein wenig aktiver zu machen, und daß sie, als sie mich im Fürstengarten sah, vor Zorn über sich selbst und vor Trauer ganz krank geworden sei, weil sie geglaubt hätte, mich nun für immer verloren zu haben.
Und dann, nach endlosen Küssen und Liebesbeteuerungen preßte sie die Stirn gegen meine Schulter und flüsterte, daß sie eine namenlose Angst habe und am liebsten auf und davon gehen würde, um Murchison nie wieder zu begegnen.
»Das ist doch alles so geheimnisvoll und unheimlich«, sagte sie zitternd. »Was will dieser Mensch eigentlich von mir und was sind das für Absichten, die er verfolgt? Was hat ihn dazu bewogen, die lange und doch auch ziemlich kostspielige Reise von England hierher zu machen und deinem Onkel Ferdinand dreihundert Mark für eine Auskunft über mich zu zahlen? Was hatte er im Sinn, als er 6ich mir näherte, und was hat ihn in aller Welt dazu bewogen, ausgerechnet mich heiraten zu wollen? Verstehst du das, Hermann? Kannst du mir darauf eine Antwort geben?«
Es war das erstemal, daß sie meinen Vornamen gebrauchte, und ich fand ihn zum erstenmal seit meiner Geburt so wundervoll, daß es mir schwerfiel, mich auf Herrn Murchison und seine dunklen Absichten zu konzentrieren. Aber schließlich war die Lösung dieser Fragen im Augenblick wohl notwendiger und für Gertruds Beruhigung auch wichtiger als die Fortsetzung der Zärtlichkeiten, nach denen es mich verlangte. Und es blieb uns ja überlassen, zu gegebener Zeit das Angenehme mit dem Notwendigen zu verbinden.
»Ach, mein Liebling«, sagte ich ratlos, »die Geschichte ist mir genauso rätselhaft wie dir. Ich habe längst versucht, hinter Murchisons Geheimnis zu kommen, aber es ist mir nicht gelungen.«
Ich berichtete ihr von Onkel Ferdinands guten Verbindungen zu den Kellnern und zum Portier des Hotels Savoy und auch von meinen eigenen Bemühungen, etwas über Murchisons persönliche Verhältnisse zu erfahren. Es war herzlich wenig dabei herausgekommen.
»Mir hat er erzählt«, 6agte Gertrud, »daß er eine gute Stellung im Anwaltsbüro seiner Onkel habe. Es sind die Brüder seiner sehr jung verstorbenen Mutter. Aber ob er dort als Anwalt und Sozius oder als Angestellter beschäftigt ist, hat er mir nicht gesagt. Ich habe mich auch nicht danach erkundigt. Warum auch? Was ging es mich an?«
»Soviel habe ich auch herausbekommen. Ich kenne sogar die Anschrift seines Londoner Büros. Aber alles Weitere ist mir völlig unverständlich.«
»Und mir ist es unheimlich...«, sagte Gertrud bedrückt.
»Unheimlich...?« wiederholte ich, als wöge ich das Wort ab und als fände ich es zu gewichtig.
»Doch, unheimlich!« sagte Gertrud fröstelnd. »Ich spüre eine Angst und eine Bedrohung. Dabei muß ich dir sagen, daß ich diesen beklemmenden Einblick durchaus nicht hatte, als Murchison das erstemal in meinem Laden auftauchte. Er erzählte mir, daß er nach Deutschland gekommen sei, um die Interessen eines während der Nazizeit nach Kanada ausgewanderten Wissenschaftlers wahrzunehmen, und daß er sich hier wahrscheinlich zwei Wochen lang aufhalten werde. Er unterhielt sich mit mir gewandt und liebenswürdig und hatte etwas in seinem Wesen, worum ich die Engländer immer schon beneidet habe, weißt du — dieses Denken in anderen Räumen und Dimensionen. Sie fahren zu einem Onkel nach Bombay oder zu einem Vetter nach Sydney und sprechen davon, als ob wir jemand erzählen, daß wir morgen einen Tagesausflug nach Würzburg oder nach Bayreuth machen wollen...«
»Ich weiß schon, daß dir der Bursche imponiert hat«, sagte ich mit einem leisen Knurren in der Stimme.
»Du hast wirklich keinen Grund zur Eifersucht«, flüsterte Gertrud mir ins Ohr und biß mich dabei, was mir noch nie geschehen war, was ich aber 6ehr reizend fand, kräftig in den Daumen. »Nein, wirklich, nicht den geringsten Grund! Ich fand ihn höflich und nett, aber auch nichts weiter als höflich und nett, hörst du! Er nahm sich zwei Bücher mit, um seine deutschen Sprachkenntnisse aufzufrischen. Dabei erzählte er mir, er habe in Heidelberg zwei Semester studiert. Und er brauchte auch einen Zeitvertreib, denn er sagte, der Prozeß nehme ihn nur wenig in Anspruch. Es handle sich um reine Formalitäten. Ich war ein wenig erstaunt, als er bereits am
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