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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Unser
    Hermann... nie! Der ist wirklich nicht so einer...! Es kann sich nur um ein Mißverständnis handeln.«
    Es war kein Mißverständnis. Im trüb beleuchteten Korridor stand Fräulein Gertrud Drost.
    »Sie hier...?« stotterte ich betäubt, obwohl es mir eine dunkle Ahnung längst eingegeben hatte, daß es sich bei dem Besuch für mich nur um 6ie handeln könne. Fräulein Drost aber schien nicht weniger verlegen zu sein als ich, denn sie mußte sich die Stimme erst frei hüsteln.
    »Ich fürchte, ich habe Sie gerade beim Abendessen gestört...«, sagte sie fast unhörbar.
    »O nein, durchaus nicht«, stammelte ich und sah im Spiegel, daß meine Ohren tatsächlich wie überreife Tomaten glühten, »ich war gerade fertig geworden.« Und völlig idiotisch fügte ich noch hinzu: »Es gab nämlich Schnitzel...«
    »Ich muß mit Ihnen sprechen!« sagte sie heftig.
    »Ich möchte Sie gern in mein Zimmer führen, aber es ist eine schrecklich kleine Bude, eigentlich nur eine Kammer, und außerdem ist alles darin in völligem Durcheinander — ich bin nämlich gerade beim Packen...«
    »Nein, bitte nicht hier«, sagte sie, »es wäre mir lieber, wenn Sie mich ein Stück begleiten könnten...«
    »Ja, natürlich, ich komme, selbstverständlich komme ich«, rief ich hastig, »aber warten Sie, bitte, noch einen Augenblick, ich will meinen Eltern nur rasch Bescheid sagen, daß ich fortgehe. Oder wünschen Sie, daß ich Sie meinen Eltern vorstelle? Wir können dann im Wohnraum oder im Arbeitszimmer meines Vaters ungestört miteinander sprechen.«
    »Nein, bitte nicht. Gehen Sie jetzt. Ich warte solange hier auf Sie.«
    Ich griff nach meinem Hut und lief ins Eßzimmer zurück.
    »Ich muß weg«, sagte ich mit brennendem Gesicht, »ich muß sofort weg, entschuldigt mich bitte...«
    »Du wirst doch wenigstens noch zum Essen Zeit haben!« rief meine Mutter und deutete auf mein Schnitzel, von dem ich gerade den ersten Bissen abgesäbelt hatte.
    »Ich esse das verdammte Schnitzel kalt, wenn ich wieder heimkomme. Minna wird es mir schon in den Eisschrank stellen. Also bitte!«
    »Und die Reise? Und die Hemden, die ich dir gebügelt habe? Und der Koffer? Und was soll überhaupt noch gepackt werden?« fragte Minna drohend und stemmte die roten Fäuste in die überquellenden Hüften.
    »Ich glaube nicht, daß ich fahren werde«, sagte ich und verließ nach diesen Worten das Zimmer fluchtartig. Die Blicke der Familie prallten mir wie nachgeworfene Steine an den Rücken.
    Fräulein Drost hatte die Wohnung bereits verlassen. Ich holte sie auf der Treppe ein.
    »Habe ich Sie wirklich nicht gestört?« fragte sie. Es war etwas in ihrer Haltung und in ihrer Stimme, was ich noch nie an ihr bemerkt hatte: sie sah ratlos und hilfsbedürftig aus. »Ich weiß nicht, ob ich den Mut gefunden hätte, Sie aufzusuchen, wenn Sie mir nicht geschrieben hätten, daß Sie verreisen wollen...«
    »Allerdings«, nickte ich, »ich wollte meine letzten Urlaubstage am Starnberger See verbringen. Ich werde wohl morgen früh fahren... Wissen Sie, man bekommt dort Angelkarten für einzelne Tage... Und ich habe dort einen Freund, den ich schon längst einmal besuchen wollte. Er ist Arzt und hat sich erst kürzlich in Starnberg niedergelassen...«
    Wir gingen, ohne auf den Weg zu achten, nebeneinander her. Die Sonne war schon hinter die Hügel gesunken, aber es war noch taghell. Der Asphalt und die Mauern der Häuser strömten eine backofenartige, trockene Hitze aus. Da der Regentenpark, eine Anlage auf dem ehemaligen Festungsglacis der Stadt, sich ganz in der Nähe befand, schlug ich Fräulein Drost vor, uns dort eine Bank zu suchen. Sie war mit meinem Vorschlag einverstanden.
    »Ihr Brief war aber sehr kurz und kühl«, sagte sie plötzlich, ohne mich anzusehen.
    »Haben Sie ihn lang und warm erwartet?« fragte ich frostig und spürte, daß der lang unterdrückte Groll nun, nachdem die erste Überraschung über dieses gänzlich unerwartete Wiedersehen verflogen war, wieder in mir emporkochte.
    »Weshalb sind Sie eigentlich so stachlig?« fragte sie leise und sanft.
    Es war wirklich ein starkes Stück von dieser jungen Dame, mich zu fragen, weshalb ich stachlig sei, und mir lag eine entsprechende Antwort bereits auf der Zunge, aber ich beherrschte mich und bemerkte nur, daß diese Art eben meine Art sei und daß ich es bedauerlich fände, wenn sie unter der rauhen Schale meines Äußeren nicht den süßen Kern zu erkennen vermöge.
    Unter solchem dummen Geschwätz

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