Mein Onkel Ferdinand
verblüfft.
»Laß doch den Jungen erst einmal essen!« sagte mein Vater mit mildem Bariton. Vielleicht ahnte er nach Mutters Erwähnung des fremden Herrn, daß hierin die persönlichen Schwierigkeiten lagen, die ich ihm vorher angedeutet hatte.
»Ach, Georg«, seufzte meine Mutter gefühlvoll auf, »wenn sie so lieb ist, wie sie aussieht, dann hat Hermann richtig in den Glückstopf gegriffen!«
Ich beschäftigte mich mit meinem Schnitzel, Mutter trank die Limonade, die sie Vater zurechtgemacht hatte, und sie schluckte dazu zwei Beruhigungspillen. Mein Vater aber zündete sich, was er um diese Zeit sonst nie mehr tat, eine Zigarette an, und mit dem, was er zu sagen hatte, bewies er, daß er nicht nur ein bekannter und hervorragender Wirtschaftstheoretiker war, sondern daß er auch einen gesunden Sinn für die praktische Verwendung von Kapitalien hatte.
»Ich habe dir heute bereits einen kleinen Reisekostenzuschuß gegeben, Hermann. Früher war es üblich, daß man seiner Braut zur Verlobung einen Brillanten schenkte. Wenn man das heute noch tut, dann kannst du das Geld behalten und ich werde noch ein paar Hunderter drauflegen, damit du nicht mit einem gar zu popeligen Stein antrittst.«
Ich schlief in dieser Nacht ziemlich unruhig und träumte von wilden Boxkämpfen, in denen es Murchison im entscheidenden Augenblick immer wieder gelang, dem Knockout zu entgehen, indem er sich in ein Nebelgebilde verwandelte, durch das meine Fäuste wirkungslos hindurchfuhren. Es war ein sehr unangenehmer Traum, aus dem ich ziemlich zerschlagen erwachte. Trotzdem war ich am Bahnhofspostamt der erste Schalterkunde, um meinen Brief an die Anwälte Graham & Graham als Einschreiben aufzugeben. Und um neun stand ich bereits vor Gertruds Tür.
»Tante Otti ist sehr neugierig auf dich«, sagte sie nach der zärtlichen Begrüßung. »Wir müssen gleich zu ihr hinübergehen. Aber kämm dich vorher, Hermann!«
»Weiß sie denn bereits... ?«
»Sie hat uns gestern gehört und kam noch in der Nacht zu mir herüber. Sie wacht nämlich sehr streng über meine Tugend und beruhigte sich erst, als ich ihr versichern konnte, daß du ernsthafte Absichten hast. Du hast doch ernsthafte Absichten, wie?«
»Die ernsthaftesten, mein Liebling! Aber sag, muß ich bei Tanti Otti ganz seriös und offiziell — du verstehst schon, was ich meine... Ich bin ein ganz blutiger Anfänger und ich habe keine Ahnung, wie man so etwas macht.«
»Du mußt gar nichts!« sagte Gertrud und zog mich resolut durch die kleine Verbindungstür in den Laden von Tante Ottilie — Frau Ottilie Wiskott — hinüber.
Und es ging alles ganz einfach und leicht. Ich lernte in Tante Ottilie eine reizende alte Dame kennen, deren Familienähnlichkeit mit Gertrud unverkennbar war. Und wenn es heißt, daß man 6ich vor der endgültigen Entscheidung erst die zukünftige Schwiegermutter ansehen solle, um Rückschlüsse auf die Entwicklung der Dame seiner Wahl zu ziehen, dann konnte ich — da Tante Otti ja die Schwester von Gertruds Mutter war — nur hoffen, daß Gertrud einmal nach langer, glücklicher Ehe eine so rosige und muntere alte Dame würde wie Tante Ottilie...
Tante Otti erkundigte sich nach meinen Eltern, schien mit der Familie zufrieden zu sein und fragte nur ein wenig ängstlich, ob Chemiker denn nicht ein sehr gefährlicher Beruf sei. Sie entsann sich aus ihrer Lyzealzeit, daß es in den Chemiestunden zumeist nicht nur fürchterlich gerochen, sondern zuweilen auch schrecklich geknallt habe.
Ich erwiderte, daß der Besitz einer Leihbibliothek meiner Meinung nach viel gefährlicher sei als die ganze Chemie, worauf Tante Otti die Hände rang und mich fragte, was ich denn nun zu diesem Herrn Murchison sage, und wie man sich das Unheimliche und Abgründige in seiner Natur deuten solle.
Leider konnte ich ihr diese Frage nicht beantworten, und außerdem ertönte die Glocke in Gertruds Laden. Wenn es auch nicht gerade wahrscheinlich war, daß Murchison schon so früh am Tage erscheinen würde, so hielt ich es doch für ratsam, meinen Posten in Gertruds Privatzimmer zu beziehen und mich für die Begegnung mit Mister Murchison zu rüsten.
»Besorgen Sie es diesem Menschen ordentlich und rufen Sie mich, wenn Sie Unterstützung brauchen!« rief Tante Otti mir kampfeslustig nach. Ich sprach meine Hoffnung aus, daß es mir auch ohne ihre liebenswürdige Unterstützung gelingen werde, mit diesem Herrn fertig zu werden.
»Aber mach es in aller Ruhe ab!« bat Gertrud
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