Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
antreten und auf Herrn Murchison warten. Vielleicht gelingt es mir, sein Geheimnis aus ihm herauszukitzeln. Für dich wird es am besten sein, wenn du die Sache ganz allein mir überlassen würdest und dich, während ich mit ihm rede, in die Gemächer von Tante Ottilie zurückziehst.«
    Gertrud sah mich prüfend an. Sie musterte mich von der Sohle bis zum Scheitel.
    »Du bist größer als er und du bist auch stärker als er. Für alle Fälle werde ich den Radioapparat und die Blumenvase wegräumen...«
    »Ich bin davon überzeugt, daß Murchison sich wie ein Gentleman benehmen wird«, sagte ich.
    »Daran habe ich keine Sekunde lang gezweifelt«, meinte Gertrud, »ich räume die zerbrechlichen Sachen ja auch nicht seinetwegen, sondern deinetwegen fort.«
    Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht würde es mir wirklich nicht leichtfallen, die Hände in den Hosentaschen zu behalten.
    Als ich schließlich ging, ließ Gertrud es sich nicht nehmen, mich noch ein Stück des Weges zu begleiten, und dann begleitete ich sie wieder zurück, und so wurde es Mitternacht, als ich endlich heimkam. Im Arbeitszimmer meines Vaters brannte noch Licht. Ich öffnete die Wohnungstür sehr behutsam, und ich hatte darin einige Übung, unbemerkt in meinem Zimmer zu verschwinden. Aber ich war nicht leise genug. Denn als ich durch den dunklen Korridor schlich, ging die Tür zum Wohnzimmer ruckartig auf und meine Mutter stand auf der Schwelle. Sie tat ganz unbefangen und hielt ein Glas in der Hand, als wolle sie für sich oder für Vater in der Küche noch ein Getränk zurechtmachen.
    »Ah, Hermann, du bist es... Ich wollte Vater gerade noch ein Glas Limonade holen. Wenn du dein Schnitzel noch essen willst, bringe ich es dir gleich mit. Magst du etwas Senf dazu? Du kannst Vater inzwischen Gesellschaft leisten. Er ist mit seiner Arbeit ohnehin fertig. Geh nur hinein...«
    Es war wieder einmal ein diplomatisches Meisterstück, mit dem meine Mutter mich hereinzulegen versuchte, aber ich kannte sie zu lange, um diese Sanftmut nicht zu durchschauen und nicht zu merken, daß sie damit das Vorspiel zu einer Familienszene einleitete. Ich winkte ihr zu und betrat die Höhle des Löwen. Der Löwe aber saß an seinem Schreibtisch, er hob überrascht den Kopf.
    »Nett, daß man dich auch einmal außerhalb der Mahlzeiten sieht, mein Junge... Besonders, da wir nun noch immer nicht wissen, ob du morgen fährst oder ob du dich entschlossen hast, doch lieber daheim zu bleiben.«
    Er schien sehr böse zu sein, denn es war sonst nicht seine Art, so rasch und unumwunden in medias res zu gehen.
    »Ich verreise nicht, das steht nun endgültig fest«, antwortete ich liebenswürdig.
    »So — du verreisest also nicht!« stellte mein Vater fest. Er schnob kurz durch die Nase und sah mich über den Rand seiner Lesebrille hinweg an. »Das ist schließlich deine Sache, und ich will dir in deine Angelegenheiten auch durchaus nicht hineinreden. Ich finde nur, daß du in letzter Zeit deine Entschlüsse genauso rasch wechselst wie deine Stimmungen, hm! — und das ist, besonders gegen deine Mutter, eine Rücksichtslosigkeit von dir, die ich — hm...«
    Er machte eine kleine Pause, und ich hielt den Zeitpunkt vor dem Vulkanausbruch für geeignet, das Verfahren abzukürzen.
    »Ich hatte in den letzten Tagen einige persönliche Schwierigkeiten zu überwinden. Keine großen und bedeutenden. Heute kann ich sagen, daß ich mit ihnen fertig bin. Ich habe mich nämlich heute verlobt.«
    In das Schweigen, das meiner Erklärung folgte, klirrte meine Mutter mit der Limonade, dem Schnitzel und dem Senftopf hinein.
    »Was gibt es?« fragte sie ein wenig ängstlich. Wahrscheinlich hielt sie die unheilschwangere Stille für die kurze Ruhe vor dem Ausbruch des Sturmes.
    »Der Junge hat sich verlobt!« sagte Vater mit kurzem Atem und schob sich die Brille auf die Stirn.
    »Nein!« schrie meine Mutter auf und setzte das Tablett ab, »mit wem denn, in aller Welt?!«
    »Sie heißt Gertrud Drost, und ich bringe sie euch morgen zum Kaffee, damit ihr sie euch richtig anschauen könnt.
    Übrigens kennst du sie bereits, Mama, und sie hat dir außerordentlich gut gefallen...«
    »Das kann doch nicht wahr sein... Drost? Drost...? Ich höre den Namen zum erstenmal in meinem Leben.«
    »Es ist die Dame aus der ersten Reihe... In dem cremefarbenen Abendkleid mit den breiten Spitzen... Erinnerst du dich jetzt ihrer?«
    »Aber sie war doch mit einem anderen Herrn in der Vorstellung!« rief meine Mutter

Weitere Kostenlose Bücher