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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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aufzunehmen. Ich hatte es mir auf der Couch bequem gemacht und diktierte: »Sehr geehrte Herren! Ich wende mich in einer Angelegenheit an Sie, von der ich annehme, daß sie auch für Sie von Interesse sein dürfte. Lassen Sie mich vorausschicken, daß ich Ihnen nur eine Reihe von Tatsachen mitteile, ohne daß ich in diesem Schreiben darauf eingehen kann, wie ich in den Besitz gewisser Informationen gelangt bin.«
    Gertrud klapperte eifrig. Sie beherrschte zwar nur das Zweifingersystem, aber sie beherrschte es gründlich.
    »Vor etwa vierzehn Tagen erschien Mister Murchison in einer hiesigen Auskunftei und beauftragte dieses Ermittlungsinstitut, in kürzester Frist Erkundigungen über eine junge Dame namens Gertrud Drost einzuziehen. Unmittelbar, nachdem Mister Murchison die erwünschten Auskünfte erhalten hatte, näherte er sich der jungen Dame, die hierorts eine Leihbibliothek besitzt und als Alleininhaberin führt. Mister Murchison gab vor, er halte sich vorübergehend in Deutschland auf, um im Aufträge Ihrer Anwaltsfirma einen Ihrer Mandanten, einen emigrierten Wissenschaftler, vor Gericht zu vertreten. Da das Auftreten von Mister Murchison ohne Tadel war, hatte Fräulein Drost keine Bedenken, Murchison auch außerhalb ihres Geschäftes zu sprechen und mit ihm Theatervorstellungen und Restaurants zu besuchen...«
    »Das ist nicht wahr!« sagte Gertrud hitzig und nahm die Finger von den Tasten, »es war ein einziger Opernbesuch und ein einziges Abendessen, und das in Gegenwart von Tante Otti!«
    »Also schön, dann schreibe eben: ...außerhalb ihres Geschäftes zu treffen, mit ihm eine Opernvorstellung zu besuchen und einmal mit ihm in Gegenwart ihrer Tante zu speisen. Wenn Mister Murchison Fräulein Drost in ihrem Geschäft auch täglich besuchte, um sich Bücher auszuleihen und mit ihr zu plaudern, so war Fräulein Drost doch außerordentlich überrascht, als er am heutigen Tage bei ihrer Tante erschien und anfragte, ob er ihrer Unterstützung und Befürwortung sicher sein könnte, wenn er um die Hand von Fräulein Drost anhalten würde.«
    Ich ging zu Gertrud hinüber, um einen Blick auf das bisher Geschriebene zu werfen.
    »Mach hier, bitte, einen Absatz und rücke das Folgende fünf Anschläge ein. Soweit, meine Herren, die Tatsachen. Ich lege sie Ihnen vor und bemerke dazu, daß sowohl Fräulein Drost als auch ich uns des Eindrucks nicht erwehren können, daß Mister Murchison mit seiner Reise nach Deutschland und mit seiner Werbung Ziele verfolgt, die zum mindesten undurchsichtig zu nennen sind. Daß sie verbrecherisch seien, wage ich nicht zu behaupten, immerhin muß ich auch diese Möglichkeit in Betracht ziehen. Fräulein Drost hat mich beauftragt, ihre Interessen wahrzunehmen. Ich glaube, mich dieser Aufgabe nicht besser unterziehen zu können, als daß ich Sie benachrichtige und bitte, mir gegebenenfalls eine Erklärung für Mister Murchisons merkwürdiges Verhalten zu geben. Inzwischen werde ich hier die Angelegenheit mit Mister Murchison persönlich ins reine bringen.«
    »Bist du endlich fertig?« fragte Gertrud und schüttelte die schreibmüden Hände aus.
    »Ja, du brauchst nur noch den üblichen Servus darunter zu schreiben: mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener...«
    Während sie den Schluß schrieb, suchte ich den Zettel mit der Londoner Adresse, die Onkel Ferdinand mir neulich gegeben hatte. Gertrud spannte den Bogen aus und einen Umschlag ein und tippte die Anschrift, und dann lasen wir den Brief noch einmal durch, bevor ich ihn unterschrieb.
    »Nun, was sagst du dazu?« fragte ich in der Erwartung, von ihr nichts als eitel Bewunderung zu ernten.
    »Schauerlich«, antwortete sie mit ehrlicher Überzeugung, »schauerlich und trocken wie Stroh, und die Sätze hören sich an, als ob du sie direkt aus einem Amtsblatt bezogen hättest.«
    »Erlaube einmal«, sagte ich ein wenig gekränkt, »es sind ausschließlich Anwälte, an die mein Brief gerichtet ist, und es wäre verfehlt, Juristen gegenüber aus der Geschichte eine Schillersche Ballade zu machen.«
    Gertrud nahm den Brief, den ich inzwischen unterschrieben hatte, noch einmal in die Hand: »Besonders der letzte Satz klingt fürchterlich, »inzwischen werde ich hier die Angelegenheit mit Mister Murchison persönlich ins reine bringen«. Das riecht förmlich nach Gift und Dolch. Was hast du vor? Wolltest du ihm ursprünglich nicht ebenfalls schreiben?«
    »Nein, ich habe es mir anders überlegt. Ich werde morgen früh bei dir

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