Mein Onkel Ferdinand
Sprachrohr sozusagen...
Schneider, Schlosser, Spengler, Glaser,
jeder trinkt den Schnaps von Graser!
Das ist wieder mal so ein Ding von mir! Da steckt Gemüt und Schwung dahinter, wie?!«
»Eine Schnapsdestille...!« stöhnte meine Mutter auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Das ist dein Untergang!«
»Blödsinn, Mathilde!« sagte Onkel Ferdinand, »es ist keine ordinäre Schnapsdestille, sondern eine liebe, kleine Likörfabrik. Und jetzt brauchst du dich für deinen alten Bruder Ferdinand weiß Gott nicht mehr zu schämen. Jetzt kannst du mit den alten Schreckschrauben von deinem Kaffeekränzchen mal einen zwitschern, der nicht von schlechten Eltern ist, jawohl!«
Und das war es, was er uns erzählen wollte und weshalb er eigentlich für einen Sprung vorbeigekommen war. Wir sollten auch mal eine richtige Freude haben. Er erhob sich, da ihn wichtige Geschäfte weiterriefen, und war dabei, das Banknotenbündel wieder in seine Brieftasche zu stopfen. Aber im letzten Moment besann er sich anders, er feuchtete Daumen und Zeigefinger kräftig mit der Zunge an und zählte aus einem der banderolierten Päckchen fünf Scheine ab. Er drückte sie Gertrud in die Hand.
»Da, Kinder, noblesse obliesch, mein Verlobungsgeschenk für euch! Nehmt ruhig die Kröten in Baribus. Es ist gescheiter, ihr kauft euch zur Aussteuer etwas Vernünftiges dafür, als daß ich mir irgendwo einen Hirsch oder eine nackte Jungfrau aus Porzellan aufschwatzen lasse, ihr wißt schon, einen von diesen Familienwanderpreisen, wo man auf die nächste Verlobung lauert, um ihn wieder loszuwerden. Also, Kinder, macht's gut! Ich lasse schon mal wieder von mir hören.«
»Ja, das also war mein Onkel Ferdinand!« sagte ich, als er verschwunden war, und durchbrach mit meinen Worten das bedrückende Schweigen, das Onkel Ferdinand sozusagen in seinem Kielwasser zurückgelassen hatte. »Vaters Schwager Ferdinand — Mutters Bruder Ferdinand — mein Onkel. Verstehst du jetzt, warum meine Eltern weiße Haare oder zum Teil gar keine mehr haben?«
Gertrud schwieg aus Höflichkeit.
»Nun, immerhin...«, meinte Vater und hustete sich eine kleine Trockenheit aus der Kehle, »diesesmal scheine ich wenigstens nicht ganz erfolglos geschröpft worden zu sein. Bis zum Fabrikanten hat es dein Onkel Ferdinand noch nie gebracht gehabt...«
»Eine Schnapsfabrik!« wiederholte meine Mutter verstört, »das wird sein Untergang!«
Um sie zu trösten, meinte ich, es sei eine alte Erfahrungstatsache, daß die meisten Konditoren selber keinen Kuchen äßen. Aber meine Mutter blieb jedem Argument und jedem Trost unzugänglich.
»Was muß Gertrud für einen Eindruck von unserer Familie bekommen haben!« sagte sie händeringend.
»Gertrud weiß, daß deine Familie sonst tadellos ist und daß ein Danckelmann sogar Senator war!«
Gertrud trat mir heftig auf den Fuß.
»Ich fand Onkel Ferdinand großartig!« sagte sie warm. »Und ich glaube, daß er ein gutes Herz besitzt.«
»Das hat er«, bestätigte meine Mutter und wischte sich die Augen, »das gute Herz ist aber auch alles, was er hat.«
13
Wahrscheinlich hätte ich meine letzten Urlaubstage ausschließlich in der Kalendergasse verbracht und mich zu einem perfekten Leihbibliothekar ausgebildet, wenn Gertrud nicht den großartigen Einfall gehabt hätte, sich durch ein junges Mädchen vertreten zu lassen, das diese Vertretung gegen ein kleines Taschengeld schon öfters übernommen hatte. Wir nutzten das prächtige Sommerwetter aus, um zu Fuß und — da Gertrud gern radelte — mit dem Fahrrad Ausflüge in die Umgebung zu machen. An Flußufern und auf Waldlichtungen verzehrten wir die reichlichen Imbisse, die Minna uns mitgab, und träumten von unserer Zukunft. Von einer sehr bescheidenen Zukunft. Wir einigten uns auf ein kleines Auto und auf ein winziges Haus mit drei oder vier Zimmern, einem Garten, in dem ich Rhododendron und Gertrud Gemüse pflanzen wollte, drei oder vier Kinder und einen Hund. Immerhin verdiente ich — um mit Onkel Ferdinand zu reden — rund neunhundert blanke Katharinchen im Monat, und außerdem spielten wir beide allwöchentlich für je eine Mark im Zahlenlotto. Der Verwirklichung unserer Träume stand also bei ein wenig Glück nichts im Wege.
Ich will damit nicht sagen, daß wir ausschließlich in der Zukunft lebten, dazu war die Gegenwart zu schön. Aber die Ereignisse der Vergangenheit berührten wir sowenig wie möglich. Gertrud wollte an das ungelöste Rätsel nicht erinnert werden.
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