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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Vielleicht gelang es ihr tatsächlich, es dadurch aus ihren Gedanken zu verbannen, indem sie es einfach totschwieg. Mich beunruhigte es Tag und Nacht.
    Am liebsten hätte ich Gertrud nicht für eine Sekunde unbewacht gelassen. Verspätete sie sich bei einer Verabredung, so beschlich mich eine lähmende Angst, ihr könnte etwas zugestoßen sein.
    Hätte ich erklären sollen, was ich nun eigentlich befürchtete, so könnte ich darauf keine Antwort geben oder müßte eingestehen, daß meine Phantasie mir Situationen vorgaukelte, die abenteuerlich oder geradezu absurd waren. Auf der anderen Seite aber rechnete ich mir aus, wieviel Mühe und auch Geld Murchison darauf verwendet hatte, sich Gertrud zu nähern, und es erschien mir unwahrscheinlich, daß er sein Ziel tatsächlich aufgegeben haben sollte. Vielleicht waren seine Flucht und der Brief, den er Gertrud hinterlassen hatte, nur Täuschungsmanöver.
    Seit seinem Verschwinden war eine knappe Woche verstrichen. Ich war mit Gertrud am Nachmittag, da der Tag glühend heiß war, zum Baden an den Stausee gefahren, und wir hatten, als wir uns trennten, verabredet, nach dem Abendessen mit Tante Otti ein Kino zu besuchen. In den Odeon-Lichtspielen lief ein Ingmar-Bergman-Film, den wir nicht versäumen wollten. Als ich zum Essen heimkam, händigte mir Minna einen Brief aus, den ein Bote schon am frühen Nachmittag für mich abgegeben hatte. Der Umschlag trug den Aufdruck des Hotels Savoy ohne Angabe des Absenders. Der Duktus der Schrift aber erinnerte mich sofort in seinem ein wenig fremdartigen Charakter an Murchisons Handschrift.
    Ich riß den Umschlag auf und spürte den Puls in der Halsschlagader. Und als ich die Unterschrift las, wußte ich, daß wir vor der Lösung des Rätsels standen. In einwandfreiem, wenn auch orthographisch ein wenig fehlerhaftem Deutsch bat mich Mister C. D. Graham, ihn im Verlaufe des Tages im Hotel Savoy anzurufen. Es waren drei knappe Zeilen, aber sie gingen mir durch wie ein elektrischer Strom. Ich lief in Vaters Arbeitszimmer hinüber und wählte die Nummer des Hotels. Graham schien auf meinen Anruf gewartet zu haben, denn ich wurde schon nach wenigen Sekunden mit ihm verbunden. Ich nannte ihm meinen Namen.
    »Sind Sie der Anwalt von Fräulein Drost, Herr Martin?« fragte er in einem fast akzentfreien Deutsch.
    Ich entsann mich, in meinem Brief unklar gelassen zu haben, in welchen Beziehungen ich zu Gertrud stand. Er schien des Glaubens zu sein, es mit einem Juristen und Kollegen zu tun zu haben.
    »Nein, Mister Graham, Fräulein Drost ist meine Verlobte«, antwortete ich.
    »Ist es Ihnen möglich, Fräulein Drost zu benachrichtigen und mich noch heute mit ihr im Hotel zu besuchen?«
    »Wir hatten zwar eine andere Verabredung, aber wir werden selbstverständlich zu Ihnen kommen.«
    »Besten Dank, dann erwarte ich Sie und Fräulein Drost zwischen acht und neun Uhr im Hotel. Der Portier wird Sie auf mein Zimmer führen.«
    Ich hängte ein. Meine Eltern, denen ich die Geschichte von Murchison inzwischen erzählt hatte, hörten durch die offene Tür jedes Wort mit.
    »War das Mister Graham aus London?« riefen sie beide gespannt.
    »Ja — und er hat mich gebeten, heute abend nach acht Uhr mit Gertrud zu ihm ins Hotel zu kommen. Er wohnt im Savoy. «
    Meine Mutter warf einen Blick auf die hohe Standuhr neben der Anrichte: »Es ist jetzt genau sieben«, sagte sie energisch, »du hast also noch mehr als eine Stunde Zeit. Und ich lasse dich nicht eher gehen, als bis du mindestens zwei Paar Würstchen und einen Löffel Kartoffelsalat gegessen hast!«
    Ich kannte den Tonfall und fügte mich in das Unvermeidliche, obwohl mir jeder Bissen im Halse steckenblieb. Mein Vater gehörte zu jenen glücklicheren Naturen, die bei Erregungen dreifache Portionen vertilgen.
    »Du kannst jetzt gehen, Hermann«, sagte Mutter schließlich zu mir und entzog meinem Vater gleichzeitig die Schüssel mit dem Kartoffelsalat, der mit reichlich Mayonnaise angemacht war: »Und du, Georg, wirst jetzt ein Brom nehmen. Ich habe nicht die mindeste Lust, dir die ganze Nacht heiße Wickel um den Bauch zu machen!«
    Ich wollte für den Weg zu Gertrud die Trambahn benutzen, aber irgendwo schien es einen Zusammenstoß gegeben zu haben, der Unfallwagen mit Blaulicht und Martinshorn raste an der Haltestelle vorüber, und ich lief zum nächsten Droschkenstand und nahm mir ein Taxi. Fünf Minuten später stand ich bereits vor Gertruds Ladentür. Sie war noch dabei, mit dem jungen Mädchen,

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