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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ihr Brief war außerordentlich notwendig, und ebenso notwendig war es für mich, Sie und besonders Fräulein Drost sofort aufzusuchen. Ich konnte leider nicht früher eintreffen, da ich gezwungen war, mich zwei Tage lang in Paris aufzuhalten, um dort einige familiäre Angelegenheiten zu ordnen.«
    Es war etwas in seiner Stimme und auch — obwohl er sich fast übertrieben gerade hielt — in seiner Haltung, als sei er sehr erschöpft, oder als habe er eine furchtbare Erschütterung noch nicht völlig überwunden.
    »Ich bin durch Ihren Brief über die Ereignisse, die sich hier abgespielt haben, genügend unterrichtet«, sagte er nach einer kleinen Pause, »wir können es uns ersparen, auf diese Vorgänge noch einmal einzugehen. Ihre Vermutung, daß mein Neffe Ronald Winston Murchison mit der Absicht nach Deutschland gekommen sei, eine Schurkerei zu begehen — diese Vermutung besteht leider zu Recht.«
    Ich spürte, wie sich Gertruds Finger um meinen Arm schlossen, und sah zugleich, daß der alte Mann, der uns gegenübersaß, sekundenlang den Kopf sinken ließ und die Augen schloß, als ginge das, was er Gertrud und mir sagen mußte, über seine Kräfte.
    »Die Anwaltskanzlei Graham & Graham besteht seit mehr als siebzig Jahren. Mein Bruder und ich haben sie vor etwa vierzig
    Jahren von unserem Vater übernommen, und ich darf wohl sagen, daß unser Ruf makellos war...«
    Was für eine seltsame Einleitung, dachte ich. Wer diesen Mann sah, der mich an die Figur des alten Jolyon aus der Forsythe-Saga erinnerte, glaubte ihm die Makellosigkeit nicht nur in geschäftlichen, sondern genauso in privaten Dingen. Ich sah Gertrud an und fühlte, daß sie in diesem Augenblick genau das gleiche dachte.
    Graham bewegte die Hand, als bäte er für sein weites Ausholen um Entschuldigung: »Ronald Winston Murchison ist ein Sohn meiner einzigen Schwester. Sie heiratete einen Kolonialbeamten, der bald nach der Geburt seines Sohnes von einem aufsässigen Negerstamm in Kenia ermordet wurde. Meine Schwester kehrte nach England zurück, und wir Brüder haben für sie und ihren Sohn alles getan, was in unseren Kräften stand. Der Junge war intelligent und durchlief die Schule mit gutem Erfolg. Er hatte Neigung zur Journalistik, und es gelang uns durch unsere Beziehungen, ihn in dem Redaktionsstab einer angesehenen Wochenzeitschrift unterzubringen. Nach drei Jahren wurde er fristlos entlassen. Er hatte Autorenhonorare unterschlagen. Es war eine sehr böse Geschichte, aber es gelang uns, einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Der Sohn meiner Schwester war ein Spieler...«
    »Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche, Mister Graham«, sagte Gertrud zart, »weshalb erzählen Sie uns diese Dinge, von denen ich spüre, daß sie Sie quälen...«
    Graham fuhr sich mit den Fingerspitzen in die Augenwinkel und sah blind zu Gertrud hinüber: »Weil es notwendig ist, Fräulein Drost, und weil ich Ihnen diese Erklärungen schuldig bin.« Er betrachtete den Wappenstein auf seinem Ringfinger und drehte den großen, schwarzen Stein nach innen. Es war sicherlich eine unbewußte Handlung, vielleicht sogar eine Angewohnheit von ihm, mit dem schweren Ring zu spielen, aber es war etwas in seiner Geste, was mich erschütterte, als sei für ihn zugleich mit dem makellosen Glanz des Steines auch der makellose Glanz seines Namens erloschen.
    »Ein Jahr lang lebte Ronald Murchison bei seiner Mutter.
    Dann ging er zur Autoindustrie, arbeitete zwei Jahre lang als Verkäufer einer bekannten Firma, die hauptsächlich Sportwagen herstellt, und kam schließlich durch die Vermittlung eines Studienfreundes, dessen Vater in der Direktion des Unternehmens war, zu einem guten Posten in der kaufmännischen Abteilung. Wir hofften, er hätte aus der ersten Verfehlung, die noch glimpflich abgegangen war, eine Lehre gezogen. Aber dann geschah das gleiche, was schon einmal geschehen war. Diesesmal aber reichten unsere Verbindungen nicht aus, um die Anklage wegen Unterschlagung und seine spätere Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis zu verhindern. Er war ein Spieler geblieben, und er war nach seiner Haftentlassung für die Öffentlichkeit erledigt. So war die Situation, als wir ihm auf die Bitten unserer Schwester in unserem Büro die letzte Chance gaben. Es war ein schwerer Entschluß. Und er war folgenschwer.«
    Graham blickte mich an: »Können Sie mir das genaue Datum des Tages geben, an dem Ronald Murchison hier eintraf?«
    »Am

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