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Mein Onkel Ferdinand

Mein Onkel Ferdinand

Titel: Mein Onkel Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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das sie vertrat, die Tageskasse abzurechnen. Ich muß ein wenig atemlos gewirkt haben, denn sie sah mich ängstlich an und fragte, ob etwas Besonderes geschehen sei.
    »Graham hat mir geschrieben! Er ist heute hier angekommen und im Savoy abgestiegen. Er will uns beide sprechen. Wir sollen nach acht Uhr bei ihm sein...«
    Ich sah, wie die Halsschlagader unter ihrer bräunlichen Haut in raschen Stößen pulste, und las die Fragen, die sie mir stellen wollte, in ihren Augen.
    »Nein, ich weiß nicht, worum es geht. Ich habe ihn auch nicht darnach gefragt. Aber ich hatte bei dem kurzen Telefongespräch mit ihm den Eindruck, dein Besuch sei ihm bedeutend wichtiger als meiner...«
    »Mein Gott«, sagte sie beklommen, »daß er gleich 6elber gekommen ist! Und daß es ihm so wichtig und eilig ist... Was hat das alles nur zu bedeuten?«
    »Das werden wir in einer halben Stunde erfahren«, sagte ich und preßte ihre Hand an meine Wange. »Mach dich fertig, Liebling, ich werde inzwischen zu Tante Otti hinübergehen und ihr Bescheid sagen, daß sie ohne uns ins Kino gehen muß.«
    »Gut«, sagte sie, »ich komme nach, wenn ich fertig bin.« Sie schickte das junge Mädchen heim und lief in ihr Zimmer, um sich ein anderes Kleid anzuziehen. Ich ging zu Tante Otti, die nach der Nachricht von Grahams Eintreffen natürlich nicht die mindeste Lust hatte, ins Kino zu gehen, sondern uns beschwor, unverzüglich zu ihr zu kommen, am liebsten hätte sie uns zum Hotel begleitet. Wir verließen das Haus kurz vor acht. Gertrud hängte sich bei mir ein. Ich spürte, daß ihre Hand zitterte, und preßte ihren Arm zärtlich an mich.
    »Sei ganz ruhig, mein Liebes«, bat ich in einem Ton, wie man kleinen Kindern Mut zuspricht, die sich vor der Dunkelheit fürchten.
    »Ich weiß selbst nicht, wovor ich mich fürchte«, sagte sie und drängte sich näher an mich, als suche sie bei mir Schutz und Wärme, »aber ich werde das Gefühl nicht los, als sei irgend etwas Schreckliches geschehen.«
    Die Uhr ging auf halb neun, als wir die Halle des Hotels betraten. Der Portier — der gleiche, bei dem ich mich angemeldet hatte, als ich Murchison besuchte — erkannte mich wieder.
    »Herr Doktor Martin, nicht wahr... Mister Graham erwartet Sie und die Dame auf seinem Zimmer. Nummer fünfzehn. Sie kennen den Weg ja bereits...«
    Es waren die gleichen Räume, die Murchison bewohnt hatte, eines der besten und wohl auch teuersten Appartements des Hauses. Der Portier meldete uns telefonisch bei Mister Graham an, und wir stiegen die mit rotem Velours ausgelegte Treppe zum ersten Stockwerk empor. Ich klopfte an der Doppeltür und hörte Grahams Aufforderung, einzutreten.
    Es war für mich ein etwas merkwürdiges Gefühl, Graham in dem gleichen Brokatsessel sitzen zu sehen, in dem mich Murchison vor knapp vierzehn Tagen empfangen hatte. Er erhob sich und kam uns ein paar Schritte entgegen. Ich schätzte ihn auf etwa fünfundsechzig Jahre. Er war groß und sehr mager. Das eisengraue, volle Haar trug er straff nach hinten gebürstet, aber es sah trotz der Pflege glanzlos aus. Seine Augen, mit gelben Altersringen um die graue Iris, wirkten müde und entzündet, als hätte er sie beim Lesen überanstrengt oder allzulange den Schlaf entbehrt.
    Ich nannte meinen Namen und stellte Gertrud vor. Er verbeugte sich und deutete mit seiner überschlanken, stark geäderten Hand, an deren Ringfinger ein schwarzer Wappenstein aufblinkte, auf die Sessel, die um den Tisch gruppiert standen. Gertrud setzte sich, und ich ließ mich neben ihr nieder. Graham wählte, als wünsche er, den größtmöglichen Abstand zwischen uns und sich zu legen, einen Sessel an der entgegengesetzten Seite des runden Tisches, der bis auf einen grünen Reklameaschenbecher leer war. Es ergab sich wohl aus dieser Platzordnung, daß ich das Gefühl hatte, zu einer prozessualen Verhandlung geladen zu sein. Während Graham die Fingerspitzen gegeneinanderlegte und nach einem Anfang suchte, brach ich das Schweigen.
    »Wir haben am Telefon zwar nur ein paar Sätze miteinander gesprochen, Mister Graham, aber ich glaube, daß Sie die deutsche Sprache fließend beherrschen...«
    »Ja, ich habe in meiner Jugend in Bonn studiert und Deutschland auch später fast alljährlich besucht...«
    »Ich weiß nicht, ob mein Brief an Sie nicht übereilt und ob es wirklich notwendig war, daß Sie sich selber die Mühe gemacht haben, uns aufzusuchen. Aber nach allem, was vorangegangen war...«
    Er hob die Hand und unterbrach mich:

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