Mein perfekter Sommer
man so richtig loslegen will. Diese Sachen schränken die Bewegungsfähigkeit ein«, erklärt er. »Ist besser, die Schrammen einfach in Kauf zu nehmen.«
»Oh«, wiederhole ich schwach. Blut und Gemetzel ist natürlich vorzuziehen.
»Und was macht dir so Spaß?« Reeve schenkt mir ein vage ermutigendes Lächeln. Schnell hintereinander reißt er
Streichhölzer an und hält sie an das Anmachholz, bis das Feuer anfängt zu knistern.
»Ganz normale Sachen, würde ich sagen.« Dann fällt mir ein, dass normal in dieser Stadt bedeutet, dass man sich von Klippen stürzt und mit Messern spielt. »Du weißt schon, Musik, Kino …«
»Welche Bands findest du gut?«, fragt Ethan und wühlt in einer Tasche herum. Er holt eine Dose Limo heraus und reicht sie mir. Ich lehne mich zu ihm rüber und nehme erfreut an.
»Alles Mögliche, hauptsächlich Indie-Zeug, ein bisschen Rock. Das neue Jared Jameson Album mag ich«, gebe ich an – und hoffe, dass sie nicht alle insgeheim Death-Metal-Fans sind.
Zum Glück nickt Ethan, er weiß, wovon ich rede. »Ach ja, das wollte ich mir auch noch mal anhören.«
Nun hab ich Mut gefasst und ich rede weiter. »Und ich mach auch eine ganze Menge Umweltsachen. Ich bin in einer Gruppe an unserer Schule, wir setzen uns für verschiedene ökologische Ziele ein, organisieren Kampagnen und Demos und so.«
Reeve schaut rüber. »Meinst du so was wie Umweltschutz?«
»Klar, und wir sammeln Spenden, schreiben Briefe, sonst was, um das Bewusstsein der Leute zu wecken.« Ich lächele reumütig. »Für euch hier ist es wahrscheinlich selbstverständlich, ihr lebt ja mitten in der Natur, aber viele Menschen wissen rein gar nichts von globaler Erwärmung oder
welchen Schaden man der Umwelt durch Abholzung zufügt und …« Ich krieg mich wieder ein, denn ich erinnere mich an meinen Vorsatz, nicht rumzulabern. Nur allzu leicht lasse ich mich bei diesem Thema hinreißen, aber ich hab ja den ganzen Sommer Zeit, da brauche ich ihnen jetzt noch nicht die volle Green-Teen-Dröhnung zu verpassen.
»Globale Erwärmung, was du nicht sagst.« Reeve mustert mich. Ich kann seinen Gesichtsausdruck in der Dämmerung nicht richtig erkennen, aber irgendwas in seiner Stimme verrät Anspannung. »Warum kämpfst du nicht gegen Aids oder Armut in der Dritten Welt oder was, das Menschen wirklich Schaden zufügt?«
Das haut mich um. Ich zögere. »Aber globale Erwärmung schadet uns doch. Überschwemmungen, Dürre … Es hat schon angefangen, und es wird schlimmer, wenn wir nichts dagegen tun.«
»Und du wirst das verhindern?« Ich höre die Häme in seiner Stimme.
Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ich werde es versuchen.«
»Womit, einer Recyclingkampagne in der Schule?«, feuert er zurück.
»Mann«, mischt Ethan sich ein, »das Holz ist zu nass. Wir brauchen mehr.« Er guckt Reeve warnend an.
»Gut«, antwortet Reeve knapp. Er schichtet eine frische Ladung Holz um die Flammen und stochert wütend mit einem langen, knotigen Ast im Feuer herum. Verwirrt schau ich mich um. Was hab ich denn Schlimmes gesagt?
»Was ist, meinst du, du schaffst den fünf-neun oben am Macaw Ridge?«, fragt Ethan seinen Bruder. Offensichtlich wechselt er das Thema. Die beiden beginnen ein Gespräch über Schwierigkeitsgrade und Kletterrouten. Reeve, der auf der anderen Seite des Feuers herumfläzt, ignoriert mich indessen betont. Fiona ist noch immer in ihr Buch vergraben, mir bleibt also nichts anderes übrig, als dazusitzen, in die hellen Flammen zu gucken und mich zu fragen, was ich wohl falsch gemacht habe.
7. Kapitel
Eine volle Stunde kriecht dahin, geradezu schmerzhaft langsam. Etwa zwanzig Mücken fallen über mich her, ich schramme mir den Ellenbogen am Holzklotz und erfahre mehr über die zum Fliegenfischen erforderliche Ausrüstung, als ein Mädchen aus New Jersey je wissen muss, aber diese merkwürdige Spannung von vorhin will sich nicht verziehen. Ehrlich gesagt, es fühlt sich jetzt noch schlimmer an. Alle meine Versuche, Fragen zu stellen oder eine freundliche Bemerkung zu machen, werden von den Insiderwitzen der Jungs und ihrem Gefrotzel abgewürgt, schließlich gebe ich mich einfach geschlagen und lehne mich zurück.
Eine unerwartete Welle der Einsamkeit überrollt mich. Lässig und unaufgeregt ist eine Sache, aber die Jungs versuchen ja nicht mal freundlich zu sein – abgesehen von Ethan, der es ab und zu schafft, ein halbherziges Lächeln in meine Richtung zu schicken. Meine Träume von einem
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