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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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erkennbar der gleichen Kultur zuzuordnen. Mindestens
zwanzig befestigte Städte hatten einst in einem Umkreis von zweihundertfünfzig
Kilometern gestanden. Bodenkundler und Biologen beteiligten sich an den
Untersuchungen, Gesteinsforscher und Anthropologen, Linguisten und Historiker.
Auf viele Fragen fand man Antworten. Allein die zentrale Frage blieb offen:
Niemand hatte die leiseste Ahnung, welches Volk hier gelebt hatte.
    Sdanowitsch hatte seine Theorien. Aber sie waren wacklig. Aus den
Schädelformen der Skelette in den Grabkammern schloss er auf ein europäoides,
kein asiatisches Volk. Möglicherweise war Arkaim eine Zwischenstation der
indoeuropäischen Völkerwanderung. Möglicherweise war es sogar die entscheidende Station, die erklären konnte, auf welchem Weg die Indoeuropäer
nach Asien gelangt waren, nach Persien, nach Indien.
    Unmittelbar nach der Entdeckung von Arkaim hatte Sdanowitsch diese
unsicheren Thesen publik gemacht – etwas lauter vielleicht, als es Archäologen
sonst zu tun pflegen. Er hatte seine Gründe. Dem Tal drohte noch immer die
Flutung. Sdanowitsch musste einen Stausee aufhalten.
    Es gelang ihm. Schnell sprach sich herum, dass in der Uralsteppe
etwas Außerordentliches entdeckt worden war, auch wenn vorerst niemand wusste,
was es war. Man wisperte von einem Jahrhundertfund, von einem achten
Weltwunder, einem russischen Stonehenge. Am Ende knickten die Behörden ein. Die
Flutung des Tals wurde aufgegeben.
    Etwa zeitgleich kollabierte die Sowjetunion. Russland machte sich
auf die Suche nach einem neuen Selbstbild. Was die unmittelbare Vergangenheit
nicht mehr hergab, hofften manche in der fernen Vergangenheit zu finden. Bevor
Sdanowitsch sichs versah, hatten seine Theorien zu Arkaim ein bizarres
Eigenleben entwickelt.
    Das Resultat dieses Zusammenpralls zweier historischer Ereignisse,
die im Grunde nichts miteinander verband, sah ich, als Sdanowitsch mich von der
Ausgrabungsstätte zurück zum Archäologenlager führte. Während wir uns
unterhalten hatten, war etwas Seltsames geschehen. Die leere Steppe hatte sich
gefüllt. Autos und Zelte waren aufgetaucht, und Menschen. Es waren Pilger. Was
sie in Arkaim suchten, war schwer in Worte zu fassen, selbst für Sdanowitsch,
der den Anblick gewöhnt war. »Sie tauchen ständig hier auf«, sagte er. »Die
meisten kommen um diese Jahreszeit, zur Mittsommernacht. Irgendetwas an Arkaim
zieht sie an.«
    Bis zum Abend füllte sich das Tal mit Tausenden von Sinnsuchern.
Eine riesige Zeltstadt entstand, bewohnt von russischen Freizeitnomaden, die in
die Steppe pilgerten, um einem sesshaften Volk der Antike zu huldigen. Jeder
von ihnen hatte seine eigene Theorie zu den Bewohnern von Arkaim. »Es waren
Slawen«, versicherte mir ein junger Weißrusse, der mit einem Kofferraum voller
Bücher von Minsk bis in den Ural gefahren war. Auf seinem Verkaufstisch türmten
sich die fantastischsten Verschwörungstheorien. »Hier! Großartiges Buch: Die slawische
Antike . Da steht drin, wie unsere Vorfahren aus Europa über
Arkaim nach Indien zogen, bevor sie sich in Russland niederließen.«
    »Aber wie kann das sein?«, fragte ich staunend. »Als Arkaim gebaut
wurde, gab es doch noch gar keine Slawen.«
    Mit einem wissenden Lächeln schüttelte er den Kopf. »Alles gelogen.«
Zum Beweis zeigte er mir ein weiteres Buch, einen Bildband voller rätselhafter
Zeichnungen. Es waren russische Folkloremotive, Ornamente, wie ich sie oft auf
Bauernblusen oder in den Fensterschnitzereien alter Holzhäuser gesehen hatte.
Bei den Zeichnungen im Buch allerdings stand im Mittelpunkt jedes Blumen- und
Vogelmusters eine klar erkennbare Swastika. Das alte indische Sonnenrad,
erklärte mir der Mann aus Minsk, hatte früher zu den Standardmotiven der
russischen Volkskunst gehört. »Aber die Bolschewiken mochten die Swastika
nicht. Sie war dem Hakenkreuz der Faschisten zu ähnlich. Nach dem Krieg haben
sie im ganzen Land die Swastikas ausgerottet.«
    Bevor wir uns verabschiedeten, kaufte ich ihm eine Ausgabe der Slawisch-Arischen
Veden ab, angeblich dreitausend Jahre alt und lange nur mündlich
überliefert, jetzt in vier Bänden aufgezeichnet, zum Glück aber auch als CD erhältlich. Als ich sie Monate später lesen wollte,
zeigte mein Computer nur wirre Steuerzeichen an.
    Während die Steppe in der Dunkelheit versank, bekam ich viele andere
Theorien zu hören. Zwei Russischlehrerinnen aus Wolgograd erklärten, Arkaim sei
der elektromagnetische Nabel der Erde. Ein Chemiker aus

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