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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer
Autoren: J Mühling
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spontan ein
Zimmer in seiner Wohnung anbot, sagte ich erleichtert zu. Der Chemikerin
drückte ich beim Abschied schlechten Gewissens zwei Wochenmieten in die Hand.
    »Warum so viel?«, fragte sie erstaunt.
    »Um die Zeit zu überbrücken, bis ihr einen neuen Mieter findet.«
    Irritiert sah sie mich an. »Wieso ihr?«
     
    So landete ich bei Wanja. Wieder einmal.
    Wir kannten uns seit acht Jahren – etwa genauso lange, wie ich
Russland aus eigener Anschauung kannte. Im Sommer 2002 war ich zum ersten Mal
für längere Zeit nach Moskau gefahren, um im Auslandsbüro einer deutschen
Zeitung als Praktikant zu arbeiten. Der Redaktionsleiter hatte mir ein Zimmer
vermittelt, bei Wanja, der damals achtzehn Jahre alt war und mit seiner Mutter
eine Wohnung in der Nähe der Redaktion teilte. Mein Russisch beschränkte sich
damals noch auf floskelhafte Grüße und gestammelte Trinksprüche, aber Wanja
sprach fließend Deutsch, er hatte als Kind mit seiner Mutter in Köln gelebt.
    Die Wohnung hatte vier Zimmer. In einem lebte Wanjas Mutter, die
verreist war, sie besuchte Verwandte in Weißrussland. Daneben lag das
Wohnzimmer, in dem ich schlafen sollte. An einem dritten, verschlossenen Zimmer
lotste Wanja mich mit einer vagen Handbewegung vorbei, die zu sagen schien:
Erkläre ich dir später.
    Er selbst bewohnte das vierte, kleinste Zimmer. Es war bis unter die
Decke vollgestopft mit dem Zubehör einer Moskauer Jugend: Bücher, vorwiegend
russische Klassiker, CD s, vorwiegend russischer
Gitarrenrock, dazwischen Schulhefte und Klamotten sowie mehrere lädierte
Musikinstrumente, von denen allein eine E-Gitarre in Benutzung war.
    »Meine Band heißt ›Scheiße‹«, sagte Wanja.
    »Was heißt ›Scheiße‹ auf Russisch?«
    » Gowno .
Aber die Band heißt ›Scheiße‹. Auf Deutsch. Klingt besser.«
    Wanja kochte Tee und legte eine CD auf, von einer Band namens DDT . Er sang den Text
mit und übersetzte mir die besten Stellen ins Deutsche.
    Gestern im Wald sah ich die russische
Idee
    Sie lief zwischen gefällten Kiefern umher
    Mit
einem Strick um den Hals.
    Abends kam Lena nach Hause. Sie bewohnte das vierte Zimmer, vorübergehend,
wie Wanja mir erklärte, sie kam aus Weißrussland und war gerade erst nach
Moskau umgezogen. Lena war ungefähr in meinem Alter, eine blasse, slawische
Schönheit. Wir hatten keine gemeinsame Sprache. Ich stammelte meine
Grußfloskeln und reichte ihr die Hand, eine Geste, die sie nur zögernd
erwiderte. Wanja erklärte mir später, dass man Frauen in Russland nicht die
Hand schüttelt.
    Den nächsten Tag verbrachte ich in der Redaktion. Als ich abends
nach Hause kam, war Wanja nicht da, dafür stand Lenas Zimmertür offen. Sie saß
auf dem Sofa und sah fern, gemeinsam mit einem Priester. Der Mann trug
Freizeitkleidung, aber sein schwarzer Vollbart und die langen, zum Zopf
gebundenen Haare sagten mir, dass er orthodox sein musste. Er stand auf und
reichte mir die Hand. »Arsenij.«
    »Es ist mir sehr angenehm«, stammelte ich. »Mein Vorname ist Jens.«
    Damit waren unsere Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Ich
wollte schon in mein Zimmer gehen, aber Lena und Arsenij luden mich mit
energischen Handgesten in ihr Zimmer ein. Ich setzte mich. Wortlos sahen wir
fern. In regelmäßigen Abständen schnitt Arsenij große Stücke von einer
Sahnetorte ab und reichte sie mir. »Kuschaj!«, sagte er. »Kuschaj!« Ich aß. Die
Torte war unser einziges Kommunikationsmittel. Nachts konnte ich lange nicht
schlafen, weil mir der Bauch wehtat.
    »Mönch«, sagte Wanja am nächsten Morgen. »Kein Priester. Mönch. Er
ist der Beichtvater meiner Mutter.«
    Arsenij tauchte in den nächsten Tagen regelmäßig auf. Erst nach und
nach wurde mir klar, dass er nicht nur zum Fernsehen vorbeikam. Er brachte Lena
Blumen mit, und wenn er sich abends von ihr verabschiedete, sah er ihr lange in
die Augen – ein bisschen zu lange für einen Mönch. Ich fand ihn von Anfang an
unheimlich. Sein Blick hatte etwas Bohrendes. Er war nicht groß, aber er hatte
die Statur eines Ringers, mit riesigen Händen, die wie Maulwurfsschaufeln
aussahen, besonders, wenn sie aus den Ärmeln seiner Mönchskutte ragten.
    Als ich am vierten oder fünften Abend nach Hause kam, war Lena
alleine in der Wohnung. Sie war plötzlich völlig verändert. Bisher war sie mir
meist scheu aus dem Weg gegangen, jetzt redete sie aufgeregt auf mich ein.
Unsicher zuckte ich mit den Schultern, ich verstand nichts.
    Als Wanja nach Hause kam, sprach er kurz mit
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