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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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Lena, dann nahm er mich
zur Seite. »Sie hat sich mit Arsenij gestritten. Kann sein, dass er heute Nacht
hier auftaucht. Mach ihm nicht die Tür auf, in Ordnung?«
    Später, als ich schon im Bett lag, klingelte es an der Wohnungstür,
einmal, dann noch einmal, dann ununterbrochen. Das Klingeln ging in Hämmern
über, dann hörte ich ein lautes Krachen. Ein paar Sekunden später riss Arsenij
meine Zimmertür auf. Er hatte eine lange Eisenstange in der Hand. Von dem, was
er schrie, verstand ich nur ein Wort: »Wo?« Ratlos schüttelte ich den Kopf. Er
stürzte in den Flur. Dann hörte ich Lena schreien. Hastig zog ich mich an. Ich
war noch nicht fertig, als Wanja in der Tür stand. »Komm schnell.«
    Wir hasteten durch den Flur in Lenas Zimmer. Arsenij stand über das
Bett gebeugt. Sein massiger Körper verdeckte Lena, ich konnte sie nicht sehen,
nur das Geräusch der Schläge war zu hören – ein dumpfes Klatschen, wie ein
Buch, das abrupt zugeschlagen wird.
    Wir drängten uns zwischen die beiden. Alleine hätte es keiner von
uns mit Arsenij aufnehmen können, aber zu zweit schafften wir es, ihn auf
Abstand zu halten. Während er versuchte, uns beiseite zu schieben, starrte er
unverwandt Lena an, er wirkte weggetreten und schien uns kaum wahrzunehmen. Als
er endlich begriff, dass sich Lena außerhalb seiner Reichweite befand, begann
er, mit leiser, beschwörender Stimme auf sie einzureden. Ich verstand nichts,
ich sah nur seine hypnotischen Blicke. Lena kauerte hinter uns auf dem Bett,
ihr Haar war zerwühlt, aber sie schien nicht verletzt zu sein, nur ihre rechte
Wange war stark gerötet. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie Arsenij
anstarrte, mit einem Gesichtsausdruck, den ich nicht deuten konnte. Es lag
keine Angst darin, auch kein Hass, eher eine merkwürdige Art von Triumph.
Unwillkürlich fragte ich mich, ob sich die beiden zum ersten Mal so
gegenüberstanden.
    »Nein«, sagte Wanja kopfschüttelnd. »Es ist schon öfter passiert.«
    »Was sagt Arsenij?«, fragte ich.
    »Gott wird dich bestrafen«, übersetzte Wanja. »Du bist eine Hure,
ich habe dir alles gegeben, du hast mir alles genommen. Und so weiter.« Seine
Stimme zitterte. Ich sah ihn an. Er war kreideweiß.
    »Was sollen wir tun? Rufen wir die Polizei?«
    Vehement schüttelte Wanja den Kopf. »Auf keinen Fall. Die Wohnung
gehört uns nicht, wir sind hier nicht gemeldet, die Polizei würde nur Ärger
machen.«
    Ich überlegte. »Wenn wir es irgendwie schaffen, Arsenij aus der
Wohnung zu drängen und ihn auszusperren …«
    »Geht nicht«, unterbrach Wanja. »Er hat die Tür eingetreten.« Er
deutete auf den Fußboden. In einer Zimmerecke lag die Eisenstange, mit der
Arsenij in mein Zimmer gestürmt war. Erst jetzt begriff ich, dass es der Riegel
war, mit dem sich die Wohnungstür von innen zusperren ließ.
    Am Ende drängten wir Arsenij mit vereinter Kraft aus dem Zimmer in
den Flur. Ich blieb vor der Tür stehen, während Wanja aus dem Nebenraum seine
Matratze holte. Wir legten sie im Flur auf den Boden, um Lenas Zimmertür zu
blockieren. Verstört sah Arsenij zu, wie wir uns demonstrativ auf die Matratze
legten. Als er begriff, dass der Weg zu Lena versperrt war, verzog er sich in
die Küche. Wir hörten ihn leise vor sich hin murmeln, es klang wie ein Gebet.
    Lange lagen wir auf der Matratze und warteten ab, was passieren
würde, aber Arsenij blieb in der Küche. Irgendwann schlief Wanja ein. Ich war
sicher, dass ich die ganze Nacht kein Auge zutun würde, aber Wanjas Atemzüge
waren so beruhigend, dass auch ich irgendwann wegdämmerte.
    Am frühen Morgen weckte mich eine fremde Stimme. Eine Frau, die ich
noch nie gesehen hatte, rüttelte an Wanjas Schulter. Als er aufwachte, wanderte
sein schlaftrunkener Blick ein paar Sekunden lang zwischen mir und der Frau hin
und her, dann sagte er: »Mama.« Und fügte auf Deutsch hinzu: »Mama, das ist
Jens.«
    Seine Mutter war in der Nacht aus Weißrussland zurückgekehrt. In
ihrer Wohnung hatte sie vorgefunden: eine aufgebrochene Tür, eine deplatzierte
Matratze, einen schlafenden Sohn, einen fremden Mann. Wanja brauchte eine
Weile, um ihr die Ereignisse der Nacht zu erklären. Ich hörte zu, beruhigt,
weil Arsenij offenbar nicht mehr in der Wohnung war, und weil Wanjas Mutter nun
alles in Ordnung bringen würde, wie Mütter es tun.
    Wanjas Mutter aber tat etwas sehr Unerwartetes. Sie lachte .
Minutenlang brachte sie vor Lachen kein Wort heraus. Endlich wandte sie sich
mir zu, legte mir eine Hand auf die

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