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Mein russisches Abenteuer

Mein russisches Abenteuer

Titel: Mein russisches Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mühling
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probiert?«
    Ich nickte.
    »Und?«
    »Schmeckt.«
    »Was magst du lieber, deutsche oder russische Schokolade?«
    »Ich mag beides.«
    Wolodja sah mich prüfend an, er schien mir nicht zu glauben. »Wenn
ich dir jetzt ein Stück deutsche und ein Stück russische Schokolade anbieten
würde, welches würdest du nehmen?«
    Ich lachte. »Beide.«
    »Aber welches würdest du zuerst essen?«
    Während ich noch nachdachte, mischte sich ein älterer Mann vom
Nebentisch ein, der unser Gespräch verfolgt hatte. »Sie müssen anders fragen«,
sagte er zu Wolodja. »Sie wissen doch gar nicht, ob er zuerst das Stück essen
würde, auf das er mehr Lust hat. Vielleicht hebt er sich das lieber für zuletzt
auf.«
    Wolodja nahm den Einwand nachdenklich zur Kenntnis. »Also gut«,
sagte er. »Er darf nur eins essen.«
    Beide Männer sahen mich fragend an. Und nicht nur sie. Die
Polizistin von gegenüber schielte über den Rand ihres Kreuzworträtsels. Der
Edelsteinvertreter sah mich mit unverhohlener Neugier an. An meiner Wahl
zwischen zwei fiktiven Stücken Schokolade hing plötzlich das Schicksal zweier
Nationen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich ehrlich. »Mal so, mal so.«
    Meine Zuschauer nickten enttäuscht.
     
    Nachmittags, beim Halt in Omsk, stieg eine Großfamilie zu. Ich
zählte fünfzehn Menschen, die sich hintereinander durch den Mittelgang schoben,
bepackt mit Plastiktüten und schreienden Säuglingen. Es waren keine Russen.
Wegen ihrer dunklen Haut hielt ich sie erst für Kaukasier, aber Wolodja, der
die Neuankömmlinge misstrauisch musterte, klärte mich auf. » Zyganje «, raunte er düster.
Das Wort hat im Russischen den gleichen Beiklang wie das deutsche »Zigeuner«,
aber es wird ohne Skrupel verwendet. Von Sinti oder Roma habe ich nie einen
Russen sprechen hören.
    Die Zyganje machten es schwer, sie zu mögen. Sie knackten Sonnenblumenkerne und spuckten
die Schalen in den Gang. Wortlos griffen sie sich Servietten und Zuckerwürfel
von den umliegenden Abteiltischen. Die Männer legten die Beine quer über den
Korridor und zogen sie fluchend ein, wenn Passanten auf dem Weg zur Toilette
darum baten. Meine Versuche, ein Gespräch anzuknüpfen, wehrten sie mit
misstrauischer Einsilbigkeit ab.
    Als die Sonne unterging, blieb ein kleines, schwarzäugiges Mädchen
vor meinem Platz stehen und starrte mich an. »Gib dem Kind Schokolade«, rief
die Mutter. Lächelnd brach ich ein Stück von der Tafel ab. Das Mädchen griff
danach, hielt es in der geballten Faust fest und starrte mich weiter an. Mit
ihren aufgerissenen Augen sah sie aus wie eine dunkle Schwester der blonden
Schokoladen-Aljonka. »Gib ihr mehr!«, rief die Mutter. »Gib ihr die ganze
Tafel!«
    Wolodja sprang plötzlich von seinem Platz auf. »Schamloses Weib!«,
schrie er. »Ruf dein Kind zurück, oder ich jag es zum Teufel!« Beschwichtigend
legte ich ihm die Hand auf die Schulter, aber es war zu spät. Das Mädchen lief
weinend in die Arme seiner Mutter, die ganze Familie starrte uns feindselig an.
Wolodja schüttelte den erhobenen Zeigefinger. »Benehmt euch wie Menschen!«
    Als er sich gesetzt hatte, schimpfte er noch lange vor sich hin.
»Früher gab es solche Leute nicht! Früher haben alle gearbeitet, anstatt zu
betteln!« Die russischen Passagiere murmelten Zustimmung, sie warfen Wolodja
und mir verschwörerische Blicke zu. Unmerklich hatten sich im Waggon die
Fronten verschoben. Noch vor einer halben Stunde war ich der Fremde gewesen,
der Exot, der nichts von russischer Schokolade versteht. Jetzt standen die
Russen und ich plötzlich auf derselben Seite. Wir waren Europäer. Wir hatten
gemeinsame Feinde. Asien schweißte uns zusammen.
     
    Nachts, als Wolodja und ich schon auf unseren Pritschen
lagen, tauschten wir ein paar letzte Worte aus. Wir wussten, dass unsere
Bekanntschaft hier endete. Vor dem Morgengrauen würden wir Nowosibirsk
passieren, wo Wolodja ausstieg. Welten trennten uns, aber wir hatten drei
Nächte und zwei Tage auf engstem Raum miteinander verbracht. Ich hatte Wolodjas
Kognak getrunken, er hatte mich über deutsche Autos ausgefragt. Ich kannte
seine Rennfahrergeschichten, er kannte das Ziel meiner Reise. Eine
transsibirische Freundschaft verband uns.
    »Wenn du mal nach Nowosibirsk kommst«, sagte er, ohne den Satz zu
beenden.
    »Dann frage ich nach Wolodja, dem Rennfahrer.«
    »Ich kann dir die Taiga zeigen.«
    »Das wäre schön, Wolodja.«
    »Es gibt nicht viele Menschen, die die Taiga kennen. Selbst in
Sibirien gibt es nicht

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