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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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Jahr steckten wir fest. In Suchumi. Zu dem Zeitpunkt war sie bereits mit Buba schwanger. Wir waren in meine kleine Wohnung gezogen, weil das Haus der Kanchelis zu groß, zu provozierend war, weil alle wussten, wem es gehörte. Auf einmal gehörte Nana zum Feind. Für die Russen, weil ihr Vater zum Schluss auf die georgische Seite gewechselt war, für die Abchasen, weil ihr Mann für die Georgier kämpfte, und für die Georgier, weil sie eine abchasische Mutter hatte. Zum Ende hin hat sie nur mehr wenig gesprochen. Stundenlang saß sie da, starrte aus dem Fenster, und sogar für Maja war sie nicht ansprechbar. Ab und zu schlich sie aus der Wohnung und verschwand für ein paar Stunden. Und jedes Mal musste ich mit dem Schlimmsten rechnen, der Möglichkeit, dass sie nicht zurückkehrte.
    Erst kurz bevor man auch Suchumi einnahm, bevor so viele Menschen starben, kam Lado nach Hause zurück und flehte seine Frau immer wieder an, die Stadt zu verlassen, nach Tiflis zu gehen, Maja wegzubringen, aber Nana sagte, dass sie sterben würde, fern von ihrer Mutter, ihrer Stadt und dass der Ruf ihrer Familie sie unantastbar mache und auch Maja schütze. Das hatte 1992 vielleicht noch gestimmt, aber schon ein paar Monate später war alles abgebrannt, niedergerissen, ermordet, vergessen. Da scherte sich keiner mehr um irgendeinen Ruf.
    Kurz nach Bubas Geburt, im Winter 93, kam Lado nach Hause und befahl uns auszureisen. Kurz bevor die Welt um uns herum total durchgedreht ist. Lado war damals in Gali stationiert und schaffte es dann noch mit Mühe und Not nach Suchumi. Es war eine furchtbare Zeit, und es sollte noch schlimmer werden. Er kam und sagte, dass wir die Stadt unbedingt am übernächsten Morgen verlassen müssten, weil eine Blockade erwartet wurde. Nach Bubas Geburt war Nana nicht mehr wiederzuerkennen. Sie kleidete sich in ihre besten Sachen, sie wollte dem Baby die Brust nicht geben, sie blieb manchmal tagelang verschwunden und tauchte angetrunken wieder auf. Ich vermutete, dass sie sich auf russischen Partys herumtrieb, dass sie an Alexej hing wie an einer Hundeleine. Lado hatte alles für uns organisiert. Seine Leute sollten uns im Morgengrauen abholen und mit einem Hubschrauber nach Batumi fliegen. Von da aus sollten wir dann nach Tiflis weiterreisen. Ich hatte schon ein Ticket für den Flug von Tiflis zu meinem Mann und meinem Sohn. Lado ließ mich schwören, dass ich Nana und Maja wenn nötig ins Auto zwingen würde, dass ich alles täte, damit wir aus der Stadt kommen. Er fuhr zurück, fuhr aus der Stadt, er musste zu seinen Leuten, die er in der Nacht darauf in die Stadt bringen sollte. Damit sie schossen, damit sie das Regierungsgebäude in Flammen setzten, damit … Salome seufzte.
    Ich stand da, mit drei Taschen, und sah auf Nana, die ein schickes Kleid anzog für die Nacht vor unserer Abreise. Um sieben Uhr früh würden sie uns abholen, hatte Lado gesagt. Ich hielt Buba auf dem Arm, und Maja heulte, vielleicht ahnte sie etwas. Ich fragte Nana, was die Aufmachung solle. Da sagte sie mir, dass sie ihm auf Wiedersehen sagen, dass sie ihm so vieles sagen müsse, dass sie ihm sagen müsse, dass es falsch gewesen sei, mit ihm zu schlafen, während ihr Land vor die Hunde ging, dass sie nicht bei ihm sein könne, während ihr Mann gegen ihn kämpfe, dass sie sich nicht mit ihm übers Theater unterhalten könne, während sein Land ihr Land mit Waffen beliefere.
    Und da sagte ich: Geh, ich weiß, du musst es tun, ich passe auf die beiden auf, aber bitte sei um fünf wieder hier. Und sie sagte: Ich komme in spätestens zwei Stunden wieder. Dann hat sie meine Hand geküsst und war verschwunden.
    Sie kam nicht wieder. Es wurde drei, vier, fünf. Sie kam nicht. Ich konnte kaum mehr atmen vor lauter Aufregung. Dann weckte ich Maja, nahm Buba auf den Arm und ging auf die Straße. Nanas Mutter wohnte nicht allzu weit von uns, ich klingelte Sturm und legte ihr Buba in die Arme. Auf einmal begann Maja zu schreien, sie brüllte und kreischte, dass sie nicht dort bleiben wolle, dass sie bei mir sein wolle. Sie wurde regelrecht hysterisch. Sie war so gehorsam, so ruhig. Da ich keine Zeit verlieren wollte, nahm ich sie einfach auf den Arm und rannte davon.
    Die Großmutter, erschrocken und verängstigt, wollte wissen, was los sei, ich sagte, ich hole ihn gleich ab. Ich rannte davon, mit Maja auf dem Arm. Ich rannte zum Hotel, wo er wohnte. Im Hotel waren sie nicht. Ich suchte die Straßen ab. Es war dunkel, und keine einzige Laterne

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