Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
Vom Netzwerk:
Nana, sie war die kleine, verwöhnte Prinzessin. Ihr Vater war beim KGB, sie kannte weder Sorgen noch Ängste. Er vergötterte sie. Seine Ballerina war sie. So hat er sie genannt.
    Weißt du, was das Schlimmste ist? Was ich ihr nie verzeihen kann? Dass sie sich kein einziges Mal hat anmerken lassen, dass sie mir wehgetan hat. Dann die Heirat und das Kind, ein Mädchen. Du hättest sie sehen sollen, wie hübsch sie war. Die ganze Stadt blieb auf der Straße stehen, wenn sie mit dem Kind unterwegs war. Und sie bat mich, Taufpatin zu werden. Die Taufpatin von Maja, und ich sagte Ja. Ich sagte Ja, obwohl ich nie hätte Ja sagen dürfen. Ich kümmerte mich dann um das Kind, während sie im Theater auftrat und er mit seinem Kram beschäftigt war. Dieses Mädchen war mein ungeborenes Kind, mein Sonnenschein. Sie gingen damals oft auf Tournee, und Maja blieb bei mir. Maja liebte mich. Und nannte mich Mama.
    Sie hielt inne, und dann warf sie wieder Steine ins Wasser, das Kreise bildete und kleine Fische aufleuchten ließ. Es war erschreckend still um uns herum.
    – Ich trat damals auch in die Partei ein. Lado und ich, wir waren aus dem gleichen Holz geschnitzt. Mir war unklar, was er suchte, während Nana sich mit ihrem Erfolg immer mehr von ihrem Mann entfremdete. Jene Zeit der Unruhen und Umbrüche war nicht ihre. Ihr Vater verlor seinen Funktionärsposten. Nana hatte Angst vor jenen Veränderungen, die Lado in dieser Zeit beschäftigten. Dann kam Lado ins Gefängnis, in ihren Augen eine Schande.
    – Und dann?, traute ich mich zu fragen.
    – Dann? Dann fing sie diese Affäre an.
    – Eine Affäre?
    – Mit einem russischen Militär. Sie lernte ihn durch ihren Vater kennen, der früher in Moskau gearbeitet hatte.
    – Und?
    – Und. Na ja, was gibt es noch zu sagen? Alexej hieß er, kam aus Moskau und war in Suchumi in der Verwaltung. Ein jungenhafter Typ mit abstehenden Ohren. Gerade mal fünfundzwanzig, denke ich. Nana hatte es einfach satt, dass die Polizei ihr Haus durchsuchte, die Besuche im Gefängnis, die Parteifreunde, die in ihrem Haus rumhingen. Es war nicht ihre Schuld, sie war nicht der Typ Georgierin, die vierzig Freunde ihres Mannes zu jeder Tages- und Nachtzeit bewirtet und ihnen Hunderte von Gerichten auftischt. Es war nicht ihre Schuld, dass sie sich in den Jungen verguckte. Er war hilfsbereit, kam aus einer guten Familie, er kannte sich mit Theater aus. Und sie hatte Angst um ihren Vater, der in Ungnade gefallen war. Sie hatte Lado ja nie wirklich geliebt. Er hatte ihr von all ihren Verehrern nur am meisten imponiert, er hatte sie am schönsten angebetet.
    – Und du, was hast du gemacht?
    – Ich habe einen alten Schulfreund geheiratet, der über Jahre hinter mir her war, den ich nie ernst genommen hatte. Geduldig und so nachsichtig, wie er war, machte er mir nie Vorwürfe, er hat sich sogar mit Lado angefreundet, und er wollte eine Familie, er wollte ein Kind. Ich tat letztlich das Gleiche mit ihm, was Lado mit mir tat. Na ja, ich sage doch, das Leben ist absurd. Und wir verloren alles. Der Krieg nahm uns alles, Jobs, Häuser, Hab und Gut, unsere Träume, Ziele, Wünsche, alles war schlagartig weg. Lado war in Tiflis. Ich machte mir Sorgen, ich wusste, wenn Lado hinter die Affäre seiner Frau kommt, gibt es Ärger, und ich half Nana, ja, ich half ihr, die Affäre zu vertuschen, ich war ihr Alibi. Ich wollte damals Lado schützen, ich dachte kaum an Nanas Wohl. Ich konnte ihr Verhalten nicht verstehen.
    Bis die erste Bombe fiel, glaubte Nana nicht, dass in unserem Land Krieg herrschte. Sie sagte immer, das ist doch bloß ein Männerspiel. Sie traf ihren Russen heimlich in dem Hotel, in dem er sich eingemietet hatte.
    Und dann fielen die Schüsse. Und hörten nicht mehr auf. Lado war in Tiflis, mein Mann und mein Sohn waren schon früher nach Russland zu seinen Verwandten gefahren, und ich steckte in Suchumi fest, mit Maja und Nana. Die ersten Flüchtlinge hatten Abchasien schon verlassen, Richtung Russland oder Richtung Tiflis. Aber als es noch eine Chance gab, wollten wir nicht. Ich wollte nicht, weil ich auf Lado wartete, und sie, weil sie glaubte, dass ihr russischer Held sie beschützen würde. Er sollte mit den Separatisten kooperieren und kriegswichtige Informationen nach Moskau weiterleiten. Ich weiß nicht, ob er das getan hat. Ich weiß nur, dass er ein verliebter junger Typ war, der in irgendwas hineingeraten war, worüber er den Überblick und die Kontrolle verloren hatte. Fast ein halbes

Weitere Kostenlose Bücher